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- Veröffentlicht: 02. Juni 2009
Und hier wieder aus meiner beliebten Serie: „Raphael wundert sich“
Es begann am Freitag. Ich stand jubelnd ob der erlangten Freiheit am Ausgang unserer Firma und freute mich auf ein Wochenende voller Trubel und leuchtender Kinderaugen, als eine Kollegin vorbeistürmte und mich verabschiedete mit den Worten: „Dann bis Dienstag!“
Ich war verwirrt und fragte „Kommen Sie am Montag nicht?“
Sie kicherte und sagte: „Da ist doch Pfingsten. Wussten Sie das nicht?“
Durch meine clowneske Haltung gegenüber konventionellen Feiertagen haben es sich die Kollegen schon abgewöhnt, mir irgendwas zu wünschen, dem das Wort „schöne(n)“ vorausgeht.
Das hat zur Folge, dass ich von allen gemeinsamen Brötchen- und Kuchenspeisungen ausgeschlossen werde, dafür verschonen mich aber auch die peinlichen Spendensammler, die um 10 Euro hier und da betteln für den x-ten Geburtstag, Krankheitsfall, Jubiläum, Schwangerschaft, Trauerfall und so weiter. Ich arbeite, um meiner Familie das Geld in den Rachen zu werfen und mir alle 5 Jahre einen neuen Computer zu kaufen und nicht, um das Privatleben von Zufallsgemeinschaften am Arbeitsplatz zu fördern. Wenn ich spende, dann an Menschen, die es zum Überleben brauchen, oder die sich besonders freuen.Zu Beginn meines Berufslebens fand ich das ja noch nett. Es gab das Gefühl einer Gemeinschaft. Aber es wurde immer mehr! Ständig wurde für irgendwas gesammelt und als dann jemand kam und mich fragte, wieviel ich zu geben bereit wäre für einen Blumenstrauß zum Geburtstag unseres schwerreichen Chefs, da sagte ich zum ersten Mal:
„Nein.“
„Wir sammeln aber jedes Jahr.“
„Ich will aber nichts dazu geben. Irgendwo muss Schluss sein!“
„Sie können doch nicht als einziger nichts geben!“
„Guck zu, und staune, wie ich das kann!“
„Sind Sie sich sicher?“
„Aber absolut.“
Dann stand er noch eine Minute unentschlossen neben meinem Schreibtisch und sagte endlich:
„Dann können Sie aber auch nicht unterschreiben.“
„Gut!“
„Sie werden als einziger nicht auf der Karte stehen.“
„Okey-dokey!“
„Sie wollen wirklich nicht?“
„Richtig.“
Seitdem habe ich Ruhe. Ich weiß zwar, dass sie offiziell im Rudel den Kopf schütteln, wenn sie gemeinsam in der Kaffeeküche viel zu trockene Kuchen auf Servietten balancieren, um etwas zu feiern, das ihnen eigentlich komplett am Podex vorbeigeht, in Wirklichkeit beneiden Sie mich erkennbar. Bringen aber selber nicht den Mut auf, mal „Nein.“ zu sagen. Weil Menschen nämlich feige sind.
Hier bricht mal eine Lanze für die Bibel. Die Stelle mag ich nämlich. Jesus ist tot und noch nicht auferstanden. Die Jünger verkriechen sich in Löchern und haben Angst. Ganz menschlich. Keine Spur von Märtyrern oder Heiligen. Sie verstecken sich und verleugnen ihren ehemaligen Vereinsvorsitzenden, der sich das auch anders vorgestellt hatte, mit der Gefolgschaft. In genau dieser Passage entscheidet sich die Zukunft des Christentums. Wären sie in ihren Höhlen geblieben, dann gäbe es heute keine Christen. Es erscheint ihnen aber ein Geist, der befiehlt, hinauszugehen und zu verkünden. Das haben sie gemacht. Die ersten Christen waren jung, mutig und sie hatten eine Vision, die zum Besseren führen sollte. Sie brauchten wesentlich mehr Willen zum Widerstand, als ein Bürohansel, der sich weigert, eine Karte zu unterschreiben.
Und sie hatten erheblich mehr Chuzpe als die heidnische Gemeinschaft heutzutage. Wir stecken immer noch in unseren Löchern und trauen uns nicht raus. Dabei ist das Schlimmste, das uns passieren kann, dass man uns auslacht. Uns erwarten keine Spiele mit Löwenanteil.
In den USA gibt es wenigstens jedes Jahr den Pagan Pride Day. Das ist wegen den vielen Egotrippern in Deutschland leider (noch) nicht möglich.
[du mäanderst schon wieder]
[Richtig. Aber ich komme schon irgendwo hin.]
[genau das macht mir sorgen]
Trotz meiner unverhohlenen Bewunderung für das Fest, an dem der Herr Hirn vom Himmel schmeißt, überraschte es mich dieses Jahr. Ich hatte es im Streß total übersehen. Für mich waren die letzten Wochen ein Balanceakt zwischen Treuepflicht des Arbeitnehmers auf der einen Seite und einem total ätzenden Streik der Kindergärtner auf der anderen.[1]
Natürlich freute ich mich zuerst, einen Tag mehr frei zu haben. Den würde ich schon nutzen können. Da aber Wochenende war und ich gut drauf, erlaubte ich mir einen für mich witzigen Dialog:
„Was ist Pfingsten?“
Sie hielt in der Tür an, drehte sich um und fragte erstaunt:
„Sie wissen das echt nicht?“
„Nö, ich bin kein Christ. Wie 20 Millionen andere Deutsche auch. Was ist jetzt zu Pfingsten?“
„Na Feiertag!“
„Wieso? Was wird da gefeiert?“
„Weiß ich doch nicht!“
„Wieso feiern Sie das dann?“
„Weil frei ist.“
„Der Tag ist ein Feiertag, weil frei ist?“
„Nein, das hat was mit den christlichen Feiertagen zu tun.“
„Das war mir klar, aber was?“
„Weiß ich doch nicht!“
„Was genau feiern Sie dann?“
„Ich eigentlich gar nicht.“
„Aha.“
Dann denkt sie, schlau zu sein und den Spieß umkehren zu müssen:
„Sie können ja gerne zur Arbeit gehen, wenn sie wollen.“
„Ach, denken Sie, dass jeder, der keinen Grund hat zu feiern, arbeiten sollte?“
„Hatten Sie das nicht gerade gemeint?“
„Ich meinte nur, dass ihr keinen Grund habt. Wir feiern Sommeranfang. Wie jedes Jahr um die Zeit. Und wir wissen, was wir feiern.“
„Dann feier ich auch Sommeranfang.“
„Das ist schön.“
Gäbe es ein heidnisches Pendant zum Wachturm, dann hätte sie ihn mir jetzt abgekauft.
Einen schönen Sommer euch allen.