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- Veröffentlicht: 27. Januar 2012
Ich wurde in Österreich aufgezogen. Auf österreichische Art und Weise, spezialisiert auf Überleben am Wiener Hof. Es scheint so, dass es unter den Eltern damals weniger Sorge gab, ob das Kind denn rechtzeitig trocken sei oder entwickelt genug, sondern vielmehr, dass es zum rechten Zeitpunkt der richtigen Person auf die korrekte Art und Weise die Hand geben kann (oder eben nicht, falls nicht angemessen). Damals haben wir natürlich diese Dressur gehasst, aber, um ehrlich zu sein, heute denke ich, dass es mir sehr viel gebracht hat.
Zum Grübeln gekommen bin ich in diesem Zusammenhang beim Gespräch mit einer Kollegin, die lange Zeit im fernen Ausland arbeitete und erzählte, wie unterschiedlich doch die einzelnen Regeln sind und wie befremdlich sie es fand, dass Frauen nie direkt angesprochen werden, sondern immer erst der Mann, der quasi erlauben muss, dass die Damen auch reden dürfen. Das fand sie nicht in Ordnung.
Erstaunlich fand ich, dass wir es aber eben genauso gelernt hatten. Das spanische Hofzeremoniell, das für uns massgeblich war (Kein Scherz. Und: Nein, ich bin nicht uralt...), regelte zum Beispiel jedes Verhalten beim Aufeinandertreffen von Männern und Frauen unterschiedlichen Alters und Status'. Man musste unbedingt und sofort wissen, ob man erst der älteren Frau oder dem höherrangigen Mann die Hand zu geben hat, was wiederum davon abhängt, ob diese zusammen gekommen sind und wie sie im Raum stehen. Es ist relativ kompliziert, aber da sich alle (zumindest in den besseren Kreisen) daran halten, kann man es antizipieren und dieses Regelwerk ist auch von unschlagbarem Vorteil, was Effizienz und Höflichkeit angeht.
Das Verhalten des Mannes war immer auf die Dame zugeschnitten, mit der er verkehrte. (Ich kann heute noch schwer "Frau" sagen, sondern nenne alle volljährigen Mädchen "Damen".)
Es gibt hier vier Dinge, die er immer beachten muss:
- Wo stehe und gehe ich relativ zur Dame?
Antwort: links neben ihr und einen Schritt dahinter, um das gezogene Schwert schützend vor sie halten zu können, ausser bei Treppen, da geht er treppab vor und treppauf dahinter, damit er sie fangen kann, falls sie über das Kleid stolpert. Das ist heute übrigens nicht mehr aktuell, seit Frauen sich so knapp kleiden, weil man auch treppauf vorgeht, um der Dame nicht auf den Hintern zu schauen. - Wer reicht die Hand, wenn man auf andere Leute trifft?
Antwort: immer die Frau zuerst, während der Mann sie vorstellt, bei zwei Paaren stellt sich zuerst der Rangniedrigere vor. - Verhalten bei Tisch:
Wenn der Kellner nicht sofort am Eingang die Überkleidung abnimmt, hat das der Mann gleich zu machen, bevor er sich umsieht. Deshalb sind in alten Wiener Restaurants auch die Garderoben direkt neben dem Eingang. Der Mann geht vor und klärt die Sitze. Der Mann rückt der Frau den Stuhl zurecht und schiebt ihn ran und läßt die Frau zuerst ihr Essen bestellen. Sehr schön, aber schon zu unserer Zeit unpraktisch ist der Brauch, dass alle Männer am Tisch aufzustehen haben, sobald eine Dame sich erhebt, das sah einfach albern aus, ist aber ganz reizend. - Kontakt mit fremden Männern:
Wenn ein anderer Mann an die Dame herantritt, fragt er immer zuerst den begleitenden Mann, ob er mit der Frau reden (oder tanzen) darf. Das hat indirekt zu erfolgen, indem man dem Herrn Komplimente über seine Begleiterin macht und sie erst dann ansieht. Nicht direkt, à la: "Darf ich mit der Frau da sprechen?". Das wäre ordinär. (Und niemand will diesen Eindruck erwecken, wirklich keiner...)
Tja. Und wenn das ein objektiver Beobachter sieht, dann wird er auch zuerst annehmen, dass die arme Frau .... und wie kann man nur ... und das in der heutigen Zeit! ...
Blablabla.
Ich jedenfalls kann nur sagen, dass jede Dame begeistert davon ist, wenn sie mit einem Herrn unterwegs ist, der Manieren zutage legt. Diese kommen aus einer Zeit, wo die Frau heilig und schützenswert erschien und sind im Grunde nur manifestierter Respekt. Dazu gehört auch das Abwenden des Blicks, wenn eine Frau nicht proper gekleidet erscheint oder das korrekte Hineinhelfen in den Mantel, etc.
Gut erinnern kann ich mich an eine Szene aus meiner Zeit als Mitglied einer Punkband in Wien. Eines schönen Abends bin ich mit unserer Drummerin stockbetrunken bei ihr zu Hause aufgekreuzt und ihre Mutter öffnete die Tür, um uns einzulassen. Ich erinnere mich nicht mehr an viel, ausser dass ich mich an diesem Abend noch lautstark im Bad übergeben habe.
Als ich sie das nächste Mal wieder besuchen wollte, fragte ich etwas unsicher, ob mich ihre Mutter überhaupt noch einmal ins Haus lassen würde. Sie lachte nur kurz und meinte, dass ihre Mutter schwer begeistert von mir war, mit der Begründung, dass ich bei der Begrüßung an ebenjenem Abend, demonstrativ nicht hingesehen habe, dass ihre Mutter in Lockenwickler und Bademantel, im Gang stand, was sie als sehr höflich empfunden hatte.
Das zeigt wiederum, dass sich jemand mit guten Manieren einiges erlauben kann, bevor er in Ungnade fällt.
Während ich mein Verhalten hier so reflektiere, muss ich bemerken, dass mir dieses Hofzeremoniell derart eingetrichtert worden ist, dass ich mich bis heute noch richtiggehend unwohl fühle, wenn die Frau auf meiner falschen Seite geht oder vorstürmt, um selbst die Tür zu öffnen oder sich selbst in den Mantel hilft. Da habe ich immer ein klein wenig das Gefühl, das Gesicht zu verlieren und frage mich, was ich falsch gemacht habe, dass die Dame mir nicht traut?
Und jetzt zum Spannen des heidnischen Bogens:
Gutes Benehmen gehört auch zu jedem Ritual. Ein Ritual heisst so, weil es vorgegebenen Abläufen folgt. Es gibt Regeln, damit jeder weiss, was er zu tun hat und wenn dies jeder weiss, dann fühlt er sich auch wohl. Durch meine Konfrontation mit der gehobenen Wiener Gesellschaft habe ich erstaunlicherweise viel auch darüber gelernt, wie man respektvoll miteinander umgeht innerhalb eines strengen Rahmens. Und ... meine liebe freifliegende Hexengemeinde ... hier habt ihr einfach nur unrecht, wenn ihr behauptet, dass jeder tun kann, was sich für ihn gut anfühlt im Ritual. Erst wenn alle sich auf ein gemeinsames Tun und Wollen einigen, kann es funktionieren, dass das Ritual als solches funktioniert.
Ich beobachte die Teilnehmer bei der Vorbesprechung immer sehr genau und merke schnell, wenn jemand Bedenken hat, alles "korrekt" zu machen, weil er vielleicht noch wenig Übung hat oder Angst vor dem, was da kommt. Dann gehe ich nicht hin und sage, "Tue was Du willst, das passt schon", sondern erkläre alle Schritte und mache Zeichen aus, auf die er oder sie achten muss, um heile durch das Ritual zu kommen. Nur wenn es so einen roten Faden gibt, fühlt sich die Junghexe auch sicher unter all den alten Hasen. Schon weil es ja immer noch ein paar Bedenken gibt, was die Sicherheit eines Kontaktes zur Anderswelt angeht (Böhse Geister .... buuuhuuuu) oder den mangelnden Humor der Göttin.
[respekt ... pfff]
[Wie meinen?]
[es ist niemandem hier entgangen, wie du mit mir redest]
[Respekt ist doch nicht gleichbedeutend mit Unterwürfigkeit.]
[täte dir manchmal aber nicht schaden]
[Das geht nicht. Als Hexe stehe ich neben den Dingen und ordne mich nichts und niemandem unter. Denk doch an Tiffany, als sie an das Sterbebett des Barons geht, um ihm zu helfen und als er sie fragt, wieso sie sich nicht verbeuge, immerhin sei er ihr Baron, sagte sie doch auch nur: "Und ich bin Ihre Hexe." (I shall wear midnight)]
[was soll dann das ganze geschwafel von wegen regeln, an die man sich halten soll?]
[Weil ebendiese Regeln dafür sorgen, dass sich jeder gleich benimmt und weiss, was er von den anderen erwarten kann. Ich gebe zu: Es sind meine Regeln, die ich für die besten halte, das ist arrogant, ist aber so.]
[... denn wo wäre die welt, wenn sich nicht alle an die regeln des raphael halten würden ...]
[Ich sehe, wir verstehen uns.]