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- Veröffentlicht: 08. Februar 2011
Man sollte Geschäftsessen nicht mit religiösen Gesprächen belasten. Das Thema ist zu heikel und persönlich, als dass man ihm Einlass gewähren darf in eine Welt, die nur auf Profit aus ist. Deshalb vermeide ich das, wenn möglich.
Warum mich ausgerechnet ein langjähriger Kollege (im Beisein von Kunden) fragte, ob ich denn auch "richtig" verheiratet sei, oder "nur unter einem Baum" weiss ich nicht, aber es begann die typische Diskussion, die hauptsächlich damit zu tun hat, dass Christen ihre Religion nicht ernst nehmen, geschweige denn richtig kennen. Man muss sich dazu vorstellen, dass unsere Kunden sich dabei sehr amüsiert hatten, weil sie entweder auch keine Christen waren oder meine Sprüche lustig fanden.
Ich: "Ja, auch standesamtlich."
Kollege: "Und wo steht der Baum?" (Er grinst)
Ich: "Welcher Baum?" (Ich fange an, genervt zu werden)
Kollege: "Ist es nicht so, dass Heiden mit einem Baum schmusen, wenn sie heiraten?"
Ich: "Nicht immer, aber es ist auch nicht verkehrt."
Kollege: "Muss das ein besonderer Baum sein?"
Ich: "Ich glaube nicht, keine Ahnung." (So schnell es geht, stopfe ich mir den Mund voll, um fehlende Kommunikationsbereitschaft zu signalisieren)
Kunde: "Ich habe letztens eine Sendung gesehen über Schamanen in der heutigen Zeit, das waren ... sagen wir mal ... ganz schöne ..." (Er druckst rum während ich so tue, als würde mich das Essen total faszinieren)
Kollege: "... ganz schöne Spinner, wollten Sie sagen?" (Er lächelt mich an, ich kämpfe intensiv mit einer Nudel)
Kunde: "Nein, das wieder auch nicht, Spinner gibt es in jeder Religion."
Dann unterhalten sich die beiden, über mein Desinteresse hinweg, über das Für und Wider von Religionen, wobei es ihnen hauptsächlich darum geht, darauf hinzuweisen, dass sie mit der Kirche selbstverständlich nichts zu tun haben wollen, aber die Idee, an etwas zu glauben, generell befürworten. Zum Glück bin ich viel zu sehr mit dem Salat beschäftigt, was verhindert, dass Blut aus meinen Ohren rinnt, ob so viel Schwachsinns.
Aber wie es das Schicksal so will, läßt mein Arbeitskollege nicht locker und wendet sich wieder direkt an mich.
Kollege: "Was sagen Deine Kinder eigentlich dazu, dass Weihnachten ausfällt?"
Ich: "Tut es doch nicht. Das Weihnachtsfest gab es schon lange bevor jemand auf die Idee kam, es einem im fernen Osten geborenen Zimmermann zu widmen."
Kollege: "Haha und welchen Baum habt ihr da gefeiert?"
Ich: "Was Du immer mit Bäumen hast ..."
Kunde: "Haben Sie auch Weihnachtsbäume?"
Ich: "Ja, aber im Garten. Wir amüsieren uns regelmäßig zu Jahresbeginn darüber, dass die Christen offensichtlich aus einer Art Rausch erwachen, bemerken, dass da ein Baum im Zimmer steht und den dann in einem Anflug von Panik auf die Strasse werfen."
Kollege: "Dann müssen Schnittblumen doch auch ganz schlimm sein für euch."
Ich: "Es verhungern jeden Tag auf Ansage 500 Kinder, obwohl wir es verhindern könnten, aber nicht wollen. Kannst du Dir vorstellen, wie gleichgültig mich dann das Schicksal von Blumen läßt?"
Kunde: "So kann man es auch sehen."
Endlich halten die die Klappe. Ich versuche wieder zum Grund unseres Treffens zurück zu kommen, nämlich dem Geschäft, werde aber mitten im Satz unterbrochen.
Kollege: "Wenn ich kein Christ wäre, dann wäre ich bestimmt Buddhist." (Was für ein Themawechsel...)
Kunde: "Kann ich verstehen."
Und bevor die anfingen, sich über eine Religion zu unterhalten, welche beide ausschließlich vom Urlaub, bunten Büchern und Hörensagen kennen, grätsche ich dann doch dazwischen.
Ich: "Du bist kein Christ."
Kollege: "Doch, bin ich."
Ich: "Du bist kein Christ. Du bist ein Rosinenpicker."
Kollege: "Was?!"
Ich: "Du trittst die gesamte christliche Überlieferung und den Grund, Christ zu sein, mit Füßen, wenn Du denkst, es reicht, den Kindern die Geschichte von einem bärtigen Mann im Himmel zu erzählen. Genaugenommen bist Du nach jeder der christlichen Überlieferungen ein Ketzer, der ausgestoßen werden sollte und ganz klar in die Hölle kommt."
Unser Kunde sieht mehr amüsiert als geschockt und fragt: "Wieso das?"
Ich: "Kennt ihr denn die Erfolgsstory des Christentums nicht?"
Kollege: "Erzähl."
Ich: "Was denkst du denn, unterscheidet die christliche von anderen Religionen? Die bunten Gewänder, die sogenannten christlichen Werte?"
Kollege: "Natürlich."
Ich: "Und die sind?"
Kollege: "Nächstenliebe, Vergebung, ähmm..."
Ich: "Und das sind Dinge, die nur Christen beherrschen? Die haben das erfunden? Sonst, glaubst Du, wäre da keiner draufgekommen?"
Kollege: "Sieh Dir doch den Islam an, die machen nur Terror."
Ich: "Das ist so ein Blödsinn. Und das ist nicht meine Meinung, sondern einhellige Ansicht der Milliarden Opfer, die von Christen gequält, getötet, enteignet und verleumdet wurden. Im Namen der sogenannten Nächstenliebe."
Kollege: "Man kann doch nicht alles durchgehen lassen. Hätten wir die islamischen Heere vor Wien durchlassen sollen?"
Ich: "Ja, natürlich. Ebenso wie George Bush den Angreifern auf das WTC hätte vergeben müssen. Das hätte obendrein den Effekt gehabt, dass es den ganzen Terror und Gegenterror nicht gegeben hätte. Wir erschießen jetzt aus lauter Nächstenliebe die Kinder unbekannter Bergbewohner, weil besonders die amerikanischen Christen Heuchler sind, die sich hinter einer Religionsfassade verstecken, um ihre gierigen Absichten zu verschleiern."
Kunde nickt.
Kollege: "Das kann man so nicht sagen."
Ich: "Kann man nicht nur, das muss man. Es ist aber auch gut, denn das Christentum wurde nur deshalb gegründet."
Kunde: "Wie das denn?"
Ich: "Versetzt euch zurück in die Anfangszeit. Die Menschen waren unterteilt in die wenigen freien Reichen, denen alles gehörte und das Heer der rechtlosen Knechte. In dieser Zeit dachte sich eine Handvoll machtbesessener Möchtegerns, wie man das ausnutzen könnte und entwickelten zwei Grundprinzipien, die die Kirche so erfolgreich machen würde:
Zum Einen müssen alle, ich wiederhole: alle Christen, und ich betone: müssen Sonntags und an Feiertagen in die Kirche gehen. Wer nicht geht, kommt in die Hölle. Das war eine Sensation. Denn die Knechte mussten eigentlich jeden Tag von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang arbeiten. Und auf einmal hatten sie nicht nur einen halben Tag frei, was selbst der härteste Menschenschinder nicht verhindern durfte, sie hatten auch noch einen Treffpunkt zum Tratschen, bunte Bilder gucken und Weihrauch schnüffeln. Glaube mir: das Konzept war revolutionär und konnte gar nicht schief gehen."
Kunde: "Klingt logisch."
Kollege: "Das war dann doch eine gute Neuerung. Was beschwerst Du Dich denn?"
Ich: "Tu ich doch nicht. Die Idee ist brillant. Und hat viel Gutes bewirkt. Der Haken ist nur, dass es eben ein wirklich-wirklich wichtiger Punkt des Christentums ist, immer in die Kirche zu gehen. Wer nicht geht oder seine Leute daran hindert, tut schwere Sünde und kommt in die Hölle oder Schlimmeres. Gehst Du denn regelmäßig in die Kirche?"
Kollege: "Nein, aber ich habe ja gesagt, dass ich mit der Kirche es nicht so am Hut habe."
Ich: "Das geht aber nicht. Du kannst auch nicht beim Bewerbungsgespräch sagen, dass Du das Geld und die Pausen ganz gut findest, aber arbeiten an sich, sei jetzt nicht Deins ..."
Kunde: "Klingt logisch."
(Sagt er anscheinend gerne. Aber er ist Kunde, der darf das)
Kollege: "Aber das ..."
Ich: "Und dann gab es natürlich das zweite Geschenk für die dankbare Zielgruppe, der coup de grace: Die Vergebung der Sünden. Es ist zwar so absurd wie genial, aber funktionierte. In einer Zeit, wo ständig gesündigt wurde und man die Rache der Götter fürchtete, muss man sich das so vorstellen: Eine dunkle, verrauchte Halle, es wird geflucht, gehurt, gevöllert und weiss ich was für ge-s noch. Die Türe geht auf und ein kleines Männchen in Mönchskutte kommt verschüchtert rein. Der König weiss mit ihm nichts anzufangen und will ihn wegschicken, als dieser sagt: "Wollt ihr die frohe Botschaft hören?" und der König sagt: "Wieso, ist mein Feind XYZ gestorben?", woraufhin alle gröhlen vor Lachen. Die "Kunde" vom Stamm der Israeliten geht den Menschen in Alt-Germanien vollkommen am Po vorbei, nur eine Stelle gefällt ihnen und da hat sich bestimmt ein Dialog wie der hier entwickelt:
"Alle Sünden? Echt?"
"Ja, Gott vergibt."
"Egal, was man getan hat?"
"Die Güte des Herrn ist unermesslich."
"Und alles was ich dafür tun muss ist, mir von Dir die Haare waschen zu lassen und regelmäßig meine Sünden zu erzählen?"
"Ja, aber es sollte euch schon wirklich leid tun."
"Jaja. Is klar. Bringt dem Mönch hier was zu essen und dann eine Schüssel Wasser, wir feiern eine Taufe!"
So war das."
Kollege: "Und was hat das mit mir zu tun?"
Ich: "Gehst Du regelmäßig beichten?"
Kollege: "Nein, natürlich nicht, ich sagte doch schon ..."
Ich: "Dann kommst Du in die Hölle."
Kunde: "Klingt logisch."
Ich: "Es ist für Dich sogar noch schlimmer, denn Leute, die behaupten Christen zu sein und die Lehre aber anders auslegen (undenkbar!) oder abändern, sind Ketzer und müssten ganz übel zu Tode gefoltert werden, damit sie ihren Mitchristen kein Vorbild sind."
Kollege: "..."
Ich: "Du kannst eben froh sein, dass es das Christentum eigentlich gar nicht mehr als Religion gibt, sondern nur mehr als Regierungsform. Würden die Christen ihre Religion ernst nehmen, wären Heuchler wie Du gejagte Staatsfeinde."
Kollege: "Nun, wie schon gesagt, trenne ich Religion und Kirche. Aber egal, wir wollten doch noch etwas besprechen, oder?"
Es war noch ein unterhaltsamer Abend mit mindestens drei Todsünden am Start.
Mir kann es ja egal sein, aber ...