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- Veröffentlicht: 16. Mai 2011
In den letzten Wochen unterwarf ich mich einem Selbstexperiment. Ich schickte meine Familie auf Urlaub und blieb selbst daheim. Zum ersten Mal seit zwei Jahren bin ich mehrere Wochen am Stück alleine.
Diesmal war ich vorbereitet, mit Stift und Papier, willens, diese Zeit der Entbehrung zu dokumentieren.
Die erste Woche unterschied sich noch kaum von der normalen Zeit vorher. Ich kam spät von der Arbeit, warf mich vor den Fernseher und schlief ein. Am Wochenende ist mir dann aber doch etwas aufgefallen: Die Küche und das Bad roch nicht mehr sehr frisch und ich stolperte ständig über Zeugs, das am Boden lag. Das unrasierte Kinn kratzend stand ich vor dem leeren Kühlschrank und wunderte mich. Wieso gab es nichts zu essen und warum zum Henker ist hier nirgendwo Platz, um etwas hinzustellen und die sauberen Tassen sind auch schon alle?
Ich beschloss, meine Verwunderung aufzuschieben trottete aus der Küche und fiel in irgendein Wohnmöbel.
Die Veränderung setzte sich fort: Immer öfter erwachte ich mitten in der Nacht, nur um zu merken, dass der Fernseher plärrte und mir kalt war, so zusammengerollt und unbedeckt auf dem Sofa. Bevor ich ins Bett gehen konnte, torkelte ich Nacht für Nacht durch alle Zimmer der Wohnung, natürlich gut bewaffnet, um Einbrecher zu suchen, denn es kann schon sehr gruselig sein, so ganz alleine.
Eines aber ist besser geworden: Im Alltag mit Familie benutzt man Hilfsmittel, wie z.B. Geräuschfelder. Hierbei fasst man ähnliche Geräusche in Gruppen zusammen, um sie besser analysieren zu können. Kindergeplärr, Wassergeplatsche, Türen, Schritte, Geschimpfe, usw. Ich nehme an, dass das Gehör von Eltern in Sekundenbruchteilen zwischen wichtig und unwichtig unterscheiden kann, je nachdem, ob ein und welches Familienmitglied betroffen ist. Wenn aber keine Familie da ist, fängt man nicht unbedingt gleich an, den Lärm zu ignorieren.
Erst in Woche 2 musste ich meine Wahrnehmung nicht mehr von Standby auf Betrieb hochfahren, jedesmal wenn die Klospülung ging, eine Tür knallte oder ich mit der Chipstüte zu viel raschelte. Ich gebe zu, dass diese Art der Entspannung ziemlich angenehm ist. (Meine Lehre daraus: Wer sich wirklich von Streß erholen möchte, fährt ohne Familie in den Urlaub und bleibt länger als 2 Wochen.)
Jetzt ist es ja nicht so, dass das Chaos in der Wohnung dadurch zustande kam, weil ansonsten meine Frau die ganze Arbeit macht, mitnichten. Denn wir teilen uns das brav auf und während sie z.B. die Wäsche macht, säubere ich die Küche und sorge für lecker Essen, jeden Tag machen wir das sonst, aber es fehlt mir komplett der Anreiz, das zu tun, wenn ich alleine bin. Ich mache das eigentlich sogar richtig gerne, weil es so schön nach Essen riecht und man überall hinfassen kann, ohne kleben zu bleiben. Es scheint fast so, als ob ich dazu mehr inspiriert werde, wenn die Kinder zugucken oder die Frau zu knurren beginnt.
Wie aber kann der selbe Mensch so schnell umschalten zwischen zwei so widersprüchlichen Charakteren? Während ich den einen Teil meiner Persönlichkeit zwingen muss, die wenigen Bewegungen zu machen, den schmutzigen Teller in den Geschirrspüler zu räumen, so will der andere partout nichts dreckiges rumstehen lassen und ist jederzeit bereit, mit Leuten zu schimpfen, die das nicht genau so halten.
Das schlampige Leben, in das ich für kurze Zeit zurückgekehrt war, gefällt mir nicht mehr. Es mag nett gewesen sein, als ich noch single und auf der Suche nach allem möglichen war, aber toll war das nie. Ich mag das Familienvater-Ich viel lieber und ich denke, das sehen die anderen auch so. Grübelnd stand ich eine Stunde vor dem Fenster und beschloss, etwas daraus zu lernen:
- Man kann auch selbständig Lehren ziehen und muss nicht immer auf einen Lehrmeister warten oder an seiner eigenen Kraft zweifeln.
- Ich ging in den Keller und entfernte 50% meines Zeugs, von dem ich unlängst noch glaubte, dass ich es unbedingt noch ewig brauchen würde. Besitz belastet. (Wenn jemand Pelzmäntel oder einen Schneideplotter braucht, bitte melden.)
Ergebnis des Experiments: Es war sehr irritierend, dass das Schlumpi-Ich nach all den Jahren noch immer in mir schlummert und auf seine Chance wartet, durchzubrechen. Andererseits freut es mich aber, dass ich mich weiter entwickelt und Gefallen an einer anderen Lebensweise gefunden habe. Das sollte allen Menschen, die mit sich selbst unzufrieden sind, Hoffnung geben, denn anscheinend kann man sich ändern, unmerklich, ohne Aufwand und zufrieden mit dem Ergebnis. Erstaunlich.