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- Veröffentlicht: 20. März 2010
Es ist für Kinder aufwändiger geworden, sich zu freuen. Die unbeschwerte Kindheit, die Erich Kästner oder Astrid Lindgren noch beschrieben, wird ihnen beinahe unmöglich gemacht, durch das zu große Angebot auf dem Kinderbespaßungsmarkt.
Kaum hat man dem Kind ein Spielzeug gekauft, schon will es die Fortsetzung und das Zubehör. Das meinen sie nicht böse oder aus purer Gier, sie können nicht anders. Der Mensch in ihnen verlangt es.
Sehnsucht nach dem Erreichbaren und der hartnäckige Versuch, sich Durchzusetzen, ist an sich etwas Gutes. Der chinesische Wanderarbeiter, der seinem Kind ein kaputtes Flugzeugmodell ohne Flügel schenkt, hat alles gegeben und sein Sohn wird jahrzehntelang mit diesem seinem einzigen Spielzeug leidenschaftlich spielen. Es weiß, dass es nicht mehr bekommen kann und ist zufrieden.
Ich wiederum bemerke, dass sich mein Sohn zwar über das neue und vollständige Flugzeug freut, aber dann möchte er natürlich noch das Treppenfahrzeug, den Gepäckwagen, den Tower, die Männchen und das erklärende Buch dazu. Ich bemerke diesen gequälten Gesichtsausdruck, wenn er merkt, dass er noch nicht alles hat, was es theoretisch noch zu kaufen gibt. In diesem Wissen ist er unglücklich und obwohl er weiß, dass er gerade etwas Schönes geschenkt bekommen hat, will er eigentlich mehr. Das merkt man daran, dass er erst mal alles aufbaut, etwas unbeherzt anfängt zu spielen, dann aber schon im Katalog blättert und mir eifrig erzählt, was man erst alles machen kann, wenn man dieses und jenes noch dazu hätte. Und sobald er glaubt, mich überzeugt zu haben, dann fragt er fast schon ängstlich, die Antwort erahnend, ob er denn nicht … wo er doch bald Geburtstag (in 300 Tagen!) habe … und überhaupt … bittebittedaswäresotoll und dann fließen auch schon Tränlein, bevor ich auch nur reagiert habe.Was muss man tun, um diesen Teufelskreis von: eine Freude bereiten wollen und: automatisch zu enttäuschen, zu durchbrechen? Ich weiß es nicht genau.
Als nicht schlechter Trick hat sich erwiesen, eingelagertes Spielzeug aus meiner Kindheit stückweise aus seinem Lager zu holen. Da gibt es keine bunte Verpackung, keine Kataloge, keine CD-Rom mit Bonusmaterial und aus der Werbung kennt man das Zeug schon gar nicht mehr. Und wenn aus der geheimen Zauberkiste auf dem Dachboden irgendwann noch was hervorkommt, dann freut er sich. Immer sage ich, dass die jetzt leer sei und wir warten müssen, bis sie irgendwann wieder etwas bevorratet. Damit ist er zufrieden. Das ist wieder einer meiner durchaus erfolgreichen Versuche, etwas mehr Mystik in den neonblinkenden Alltag zu bringen.
Die Medien machen die natürliche Bereitschaft, sich kreativ zu freuen nicht unmöglich, aber sie gestalten es (vollkommen absichtlich) erheblich schwerer, weil sie nichts daran verdienen, wenn ein Kind mit einem Stock spielt, anstatt mit einem Plastikschwert, das wir aus China bis hierher schippern, damit unser Nachwuchs seine Phantasie nicht zu sehr anstrengen muss.
Ich habe noch Glück gehabt. Meine Kinder quengeln nicht, sie blühen nur dann richtig im Spiel auf, wenn es sich um Naturmaterialien wie Steine, Stöcke, Federn, Zapfen und ähnliches handelt. Aber sie bekommen es irgendwie unterschwellig mit, dieses parseltonguesche Flüstern der Industrie: Verlange! Kaufe! Konsumiere! Ohne mich wird die Wäsche nicht rein und Deine Eltern lieben Dich nicht, wenn sie Dir nicht genau diese Schokolade mitbringen.
Sie wissen, dass das eigentlich falsch ist und es zerreißt sie innerlich.