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- Veröffentlicht: 19. November 2015
[Boah! Liket mich doch am Arsch!]
[ganz ruhig]
[Deichkind hat recht, das kann doch alles nicht wahr sein!]
[was ist denn passiert?]
[Halt mal kurz]
[was ist das?]
[Eine Büchse, aber Vorsicht, der Deckel ist locker]
Ich bin ja einigermassen im Internet zu Hause und habe in den letzten Jahrzehnten viele Websites kommen und gehen sehen, darunter StudiVZ und MySpace, die waren so schnell Geschichte, wie sie etabliert waren. Ich habe selber Websites erschaffen, inklusive Foren und Chatfunktion, massgeschneidert auf eine bestimmte Interessengruppe. Dort haben sich Menschen getroffen und sich abgesprochen, man war unter sich und verschwand, sobald das Interesse an der Gruppe nachließ: Völlig normales, gesundes Verhalten.
Niemand wäre auf die Idee gekommen, sein ganzes Leben auf eine Plattform im Internet zu verlagern. Das Netz war lange Zeit ein Werkzeug, das die Kommunikation vereinfachen sollte. Wir waren Herr über unsere Daten und unsere Entscheidungen.
Es gab auch als zentralen Punkt immer einen Forenthread: "Treffen im Real Life". Es war faszinierend, die Menschen hinter den Avataren kennenzulernen und das im Hinterkopf zu haben half, dass sich keiner anders aufführte, als wenn man sich in echt gegenüberstünde. Trolle hatten nur in offenen Foren eine Chance und wurden vom Admin einfach gelöscht. Da brauchte man keinen Algorithmus.
Seit ein paar Jahren ist aber zu beobachten, dass die Jugend ihre gesamte Persönlichkeit ins Netz verlagert und sich ohne Nachzudenken einem Konzern als Sklave anvertraut, der ganz offen zugibt, Milliarden damit zu verdienen, dass er ihr Leben beobachtet und analysiert. Sklave deshalb, weil mit ihrer Persönlichkeit gehandelt wird, ohne Mitspracherecht und ohne Gegenleistung. (Einfach nur "Freunde" zu "adden" ist ein Feature ohne Mehrwert, wenn man mal darüber nachdenkt.)
Und heute? Es reicht diesen Zombies, zu haten und zu liken. Etwas zu tun oder sich zu treffen, gemeinsam zu lachen, sich flüchtige, weil nicht dokumentierte Geschichten zu erzählen und sich ins Gesicht zu sehen, die Körpersprache und Mimik zu erfassen und dann irgendwann zu entscheiden, ob man jemanden mag oder auch nicht, das ist zu unbequem. Engagiert wird sich allenfalls durch Unterzeichnung einer Onlinepetition. (Letzteres ist der größte Mist seit Erfindung von Händischmuck.)
Ein schrecklicher Umstand ist, dass Vereine und Vereinigungen immer mehr dazu übergehen, ihre Kommunikation total auf Facebook und WhatsApp zu verlagern. Wer da nicht mitmachen will, weil er zum Beispiel seine Daten nicht in die Hände dieser Konzenre geben möchte, der ist halt ausgeschlossen.
Sagt mal: GEHT'S NOCH? Was für eine Sekte ist das denn und wieso hat sie so viel Erfolg? Wer hat da Drogen ins Wasser getan, die all diese Gehirne waschen? Und wieso tut von unseren Volkstretern keiner etwas dagegen? Wieviel Geld fliesst da in welche Richtung?
Ich spreche aus leidvoller Erfahrung, weil ich für zwei Monate das Verhalten der Wesen auf facebook testen durfte. Über verschlüsselte TOR-Browser und falscher Identität meldete ich mich an, weil ich mit einer amerikanischen Vereinigung Kontakt aufnehmen wollte, die kurzerhand ihr Forum von der eigenen Website gestrichen hat und sich komplett auf facebook verlässt. Bereits nach einer Woche, nachdem ich in die geschlossene Gruppe eingeladen worden bin, hatte ich schon 30 Freunde, die ich alle nicht kannte. Die hatten mich einfach nur geaddet, weil ich halt da war.
Daraufhin wird man unkontrolliert zugemüllt mit Zeugs, das sich aufteilt in:
- Hallo, Guten Morgen und Guten Abend an alle
- Gejammer, wenn einer einen schlechten Tag hat
- Aufforderung, irgendetwas zu liken
- Einladung, irgendetwas zu spielen oder es zumindest zu liken
- Tausende Infos, wer wieder mal was geliket oder kommentiert hat
- Ganz selten mal ein interessanter Beitrag, der in kürzester Zeit nach unten verschwindet weil er mit dem oben genannten Müll zugeworfen wird
Selbst wenn man hingeht und Nachrichtentypen deaktiviert ist das noch nicht tauglich als Idiotenfilter, es ist einfach zu viel. Man ist im Grunde dauernd damit beschäftigt, sich aus dem Müll nach oben zu wühlen und nicht die Übersicht zu verlieren. Ich habe viele Stunden jeden Tag damit verbracht, meine (gerade mal) 50 Freunde und 2 Gruppen zu verwalten und habe letztendlich aufgegeben. Es ist die Mühe nicht wert. Ich verstehe aber jetzt, wieso die Leute ständig auf ihr Händi starren. Die haben einen enormen Stress. Bedauernswert, ehrlich.
Das Konto habe ich löschen lassen, bin mir aber sicher, dass die Daten alle noch auf dem Server sind.
[und was machst Du jetzt mit Deiner neuen Freiheit?]
[Weiss ich noch nicht. Ich könnte ja anfangen Drogen zu nehmen. Damit wollte ich eigentlich bis zum Altersheim warten ...]
[warum?]
[Irgend etwas muss man ja tun. Mir ist so langweilig ...]
[triff dich doch mit menschen]
[Woraufhinaus? Die sind doch alle eine manifestierte oder potentielle Enttäuschung.]
[dann ändere doch die welt]
[...]