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- Veröffentlicht: 20. Juli 2009
In Zeiten wie diesen, wo sich die Wut der Menschen auf die Betrüger und Abzocker in Bewunderung verwandelt und allenfalls Neid hervorruft, ist es schwer, moralischen Anstand zu finden.
Es ist ja nicht so, als hätte es diese Situation in der Geschichte nicht öfters schon mal gegeben. Wir durchleben gerade die zyklisch wiederkehrende Phase der Dekadenz im Abstieg. Die Umverteilung von unten nach oben hat ihren Höhepunkt erreicht, die Amigos sitzen fest in allen Instanzen und jeder Bürger denkt, dass man besser nichts machen sollte, weil man eh nicht versteht, worum es geht und besser das eigene Ersparte nicht gefährden will. Ein schlauer und rücksichtsloser Mensch kann sich keine glücklicheren Zeiten wünschen.
Ich wünschte mir einen Superhelden, der eine Mischung aus Jesus, Alexander von Makedonien und Herkules verkörpert. Der würde in die Frankfurter Börse gehen, die Tische der Krämer umwerfen, die gordische HST-leitung (High Speed Traffic für sekundenschnelles Zocken mit von ehrlichen Arbeitern geschaffenen Werten) mit einem eleganten Schwerthieb durchtrennen und dann den Main umleiten um den ganzen Mist rauszuspülen. So stelle ich mir das vor. Aber nichts passiert. Die machen einfach weiter wie bisher.Wo sind eigentlich die legendären deutschen Tugenden der Verlässlichkeit und Ehrlichkeit geblieben? Dereinst waren wir stolz auf uns. Heute schämt sich zwar jeder fremd bis zur Blutdruckexplosion, glaubt aber gleichzeitig, dass er doch für blöd gehalten würde, wenn er selber ehrlich wäre. Und es ist tatsächlich ein Erfolgsmodell geworden, zu lügen und betrügen, bis der Krug, meilenweit vom Brunnen entfernt, bricht.
Ich mache da nicht mit.
Ich bin mal mit meiner hochschwangeren Frau spät nachts über eine dunkelorange Ampel gefahren, weil sie dringend mal wo hin musste. Natürlich war hinter mir ein Polizeiauto und der freundliche Polizist hat mich gefragt, bei welcher Farbe ich über die Ampel gefahren bin. Ich sagte wahrheitsgemäß: Orange. Er schüttelte den Kopf und fragte, ob ich mir da sicher sei, oder ob die Ampel nicht doch noch grün war. Ich sagte: Orange. Worauf ich Anzeige wegen Überfahrens einer roten Ampel bekam.
Meine Tochter hat meine Brille auf den Steinboden geworfen in einem Anflug destruktiven Humors. Meine Frau wirft mir bis heute noch vor, dass ich da die Haftpflicht eines Freundes nutzen oder es als Unfall auf der Arbeit deklarieren hätte sollen. Habe ich natürlich nicht gemacht, das ist unehrlich.
Auf der anderen Seite, als ich einmal einen üblen Unfall hatte, weil der Vermieter vergessen hatte, im dunklen Keller eine Klappe zu schließen und ich hineinfiel, hat er in allen Instanzen gelogen, dass die Klappe noch zugewesen sei. Das hat ihn total kalt gelassen.
Finanziell betrachtet lohnt es sich nicht, ehrlich zu sein. Aber ich fühle mich besser dabei.
Könnten wir Heiden es uns nicht auf die Fahne schreiben, dass wir bis zur Selbstaufgabe ehrlich sind? Alle anderen Religionen leben von Lüge oder Selbstbetrug, näher betrachtet. Da wäre doch unsere Nische.
Auch wenn wir damit kaum Neulinge fangen könnten, denn wer steigt schon auf ein Kreuzfahrtschiff, das im Winter durch die Antarktis fährt und „Titanic“ heißt?
Das Thema macht mich traurig.