An einem schönen Herbsttag sitze ich auf der Veranda und sortiere die wöchentlichen Zuschriften. Dabei mache ich immer drei Haufen, wobei ich vorab schon verraten darf, dass meiner nicht der kleinste ist.

TOD: "Ist für mich etwas dabei?"

Ich: "Die Menschen tun sich schwer, Briefe an einen knochigen Mythos in Menschenform zu schreiben."

TOD: "Hmpf. Undankbare Bande, undankbare ..."

Ich: "Ah! Doch hier! Ein dicker Umschlag für Dich. Sieht mir nach Bewerbungsunterlagen aus."

TOD: "Her damit!"

Er reisst mir den Umschlag aus der Hand, öffnet ihn mit einer geübten Handbewegung an der Sense und wirft sich schwer in seinen Stuhl. Dann zieht er den schwarz-weissen Schnellhefter aus Plastik heraus und liest das Ablehnungsanschreiben. Seine Miene verfinstert sich dabei zusehends.
Am Ende angekommen, steht er auf, zerknüllt die ganze dicke Mappe, stapft mit schweren Schritten ins Haus und kommt mit einem verdächtig bunten Drink wieder zurück.

TOD: "Ich kann euch Menschen nicht leiden."

Ich: "Da bist du nicht alleine. Sieh mal hier."

Ich reiche ihm einen Stapel. Während ich noch weiter vorsortiere, überfliegt er die Briefe und ich bemerke aus dem Augenwinkel, dass er sich entspannt.

TOD: "Das sind ja eine Menge Leute, die Dich nicht mögen."

Ich: "Ach, das sind nur die paar, die immer moppern. Meine kluge Frau sagte unlängst, dass man weiss, etwas richtig zu machen, sobald sich Rädelsführer laut beschweren."

TOD: "Für wen ist denn der Haufen da?"

Er deutet auf den mit Abstand größten Stapel Briefe. Viele von ihnen duften nach einer Art Hello-Kitty-Parfüm.

Ich: "Gsbry."

TOD: "Die kleine ... ich meine, der kleine ... ähm, das ..."

Ich: "Genau."

Der nächste Brief ist endlich mal für mich und optisch ansprechend, weil kleine, silberne Schnörkel-Handschrift auf schwarzem Papier.

Ich: "Hmm, der ist interessant. Das kommt in meinen DuMaEi."

TOD: "Und das ist?"

Ich: "Mein Dunkle-Magie-Eingang. Wenn Menschen mir schreiben, um etwas wissen zu wollen, dann geschieht das ausschließlich aus zwei Gründen: Weil 'dunkle Magie' sie fasziniert und sie wissen wollen, wie man 'es macht' und zum Zweiten gibt es diejenigen, die sagen, dass sie 'dunkle Magie' beherrschen und Angst davor haben, anderen zu schaden. Die Antworten darauf sind sehr einfach. Schwierig ist nur, die Leute dazu zu bringen, mich zu verstehen und zu akzeptieren, dass meine Antworten beinhaltet, was sie brauchen und nicht, was sie wollen."

TOD: "Das alte Dilemma."

Ich: "Die neueste Welle scheint mir aber zusammenzuhängen mit der momentan wieder einmal kursierenden Vampirromantik. Das merkt man an den Sehnsüchten der Schreiber und der Wortwahl. Ist irgendwie anders als vor noch ein paar Jahren, als der ganze Hexennachwuchs im Bann dieser unerträglich dämlichen Charmed-Scheisse stand. Ich sage es immer wieder: Man darf Mystik und Religion niemals den gierigen Klauen Hollywoods überlassen. Das Ergebnis ist immer eine komplett verwirrte Jugend."

TOD: "Ich mag Vampire."

Ich: "Warum bin ich nicht überrascht..."

TOD: "Möchtest Du auch wissen, wieso?"

Ich: "Nein."

TOD: "Die sind so schön tot."

Ich: "Ich jedoch finde, Vampire sind wie Geschenkgutscheine."

Den Brief lese ich in Ruhe zu Ende, falte ihn und stecke ihn in den Vorordner. Während ich auch mir einen bunten Drink aus der Küche hole, bemerke ich die ungewohnte Ruhe und frage, als ich zurückkomme:

Ich: "Hast Du Gsbry gesehen? Der ist doch sonst immer sofort am Start, wenn seine Post kommt."

TOD: "Nein. Und ... übrigens: Ich komme nicht darauf."

Ich: "Worauf?"

TOD: "Geschenkgutscheine?"

Ich: "Ja, klar! Menschen glauben, Geschenkgutscheine sind etwas besonders Schönes und Praktisches, dabei ist genau das Gegenteil der Fall. Da macht sich jemand Mühe, um gutes, überall einzulösendes Geld, durch ein billiges Papierkärtchen zu ersetzen, das man nur in einem speziellen Geschäft einsetzen kann. Sie verkrüppeln erst das Geld und schenken es dann stolz weiter. Das ist so ein Unsinn..."

TOD: "Und was hat das mit Vampiren zu tun?"

Ich: "Vampire sind bedauernswert, behindert und eingeschränkt. Es ist wie ein ganz furchtbarer, ewiger Fluch. Und trotzdem gibt es immer wieder, gerade unter Jugendlichen, den Wunsch, wie ein Vampir zu sein oder zumindest sein Freund.
Da würde ich persönlich noch lieber Lepra glorifizieren, denn das geht wenigstens irgendwann vorbei."

TOD: "Du weisst aber, dass es Vampire gar nicht gibt?"

Ich: "Natürlich weiss ich das. Sie leben aber in den Köpfen der Menschen und das mag die Königin des Elfenlandes, das ist das Problem."

TOD: "Wieso sind Menschen eigentlich nicht mit dem zufrieden, was sie haben? Wieso wollen sie immer etwas anderes, auch wenn es schlimmer ist?"

Ich: "Wenn ich das bloß wüßte ..."