Über Samhain/Hallowe’en waren wir in Irland, eingeladen von einer Gruppe Hexen und Druiden von Tara. Die Hügel von Tara sind nicht einmal allen Iren richtig bekannt, obwohl sie als Nationalheiligtum erster Klasse gelten sollten, denn schließlich war es das religiöse und politische Zentrum für viele Jahrtausende vor der Christianisierung.

Wie manche vielleicht gehört haben, baut die Regierung gerade eine Autobahn mitten durch die Landschaft, was aber außer einem Häuflein Protestierer nur wenige Iren wirklich aufregt. Dazu muss man wissen, dass der Großteil der Bevölkerung dieser Insel einen sehr distanzierten Zugang zu seinem heidnischen Erbe hat. Auf der einen Seite ist jedes noch so kleine Steinkreuz und jeder Stall, der einst als Abtei gedient hatte, hergerichtet und touristisch erschlossen, aber die meisten alten Steinkreise werden als lästig empfunden und mit Baggern verschoben.

Praktisch veranlagt, wie die Erben St. Patricks sind, muss schon Geld dabei rausspringen, wenn verlangt wird, die alten mystischen Plätze zu erhalten. Und so wurde in den heidnischen Kreisen, in denen wir uns an diesem Wochenende bewegten, mit nicht sehr netten Worten von jenem Bauern in Carrowmore gesprochen, der entdeckte, dass sich die großen Felsen vermarkten ließen und sie zuerst kleinteilig verkaufte, dann die restlichen Brocken mit Mitteln der EU hübsch platzierte, eine Touristeninfo errichtete und schließlich einen künstlichen Cairn um den schönsten Dolmen am Hügel errichtete. Ich war kurz da und musste sehen, wie, ähnlich einem Schotterberg und durch Maschendraht gesichert, da ein steriles Konstrukt entstanden ist, das aus der Ferne zwar an Newgrange erinnert, von nahem aber schrecklich aufgebrezelt wirkt und den schönen Platz verschandelt. Sehr traurig, das.

Der Vorteil des irischen Desinteresses an heidnischen Stätten ist, dass man noch zufällig Zeugnisse der Alten entdecken kann, während man wandert. Als ich noch in Irland gearbeitet hatte, war ich zu den Sabbats einfach irgendwo in die Hügel gewandert und hatte mich in einen der Steinkreise auf dem Weg gesetzt, der erstaunlich oft zwischen einer Schafweide und einem Pub gelegen war. (Schön für das Bier nach dem Ritual …)

Jetzt am Freitag abend, dem Tag vor Samhain, gingen wir in den Pub zur Session. Es kam irgendwann mittendrin zu einem interessanten Gespräch am Kaminfeuer, deren Teilnehmer im wesentlichen waren: Einer der Erzdruiden von Tara (die sind sich nicht ganz einig, welcher von ihnen und kraft welcher Legitimation der Chef ist) an der Gitarre, seine Frau an der Flöte, der Earl von Tara an der Bodhrán (ein lustiger, sehr weltlicher Mann mit übertrieben wirkendem Adelstitel, der zwar Musik mag, aber mit Heidentum nichts am Hut hat, wie man gleich merken wird) und meine Wenigkeit. Mit uns sangen und spielten und tranken noch ungefähr ein Dutzend andere Hexen, Druiden und Normalos, die mischten sich aber zunächst nicht ein, sondern lauschten unserer Argumentationsführung.

Bei irischen Pub-Sessions gilt: wer nicht singen oder spielen will oder kann, der muss eben eine Geschichte erzählen. Und da ich mich nicht mit den aus irgendeinem Grund immer wunderbar singenden Iren messen kann, erzähle ich meistens ein Märchen oder eine Sage aus Deutschland, das kommt immer gut an. Dieses Mal war uns guter König Barbarossa dran.

(Ich übersetze der Einfachheit halber, obwohl bedauerlicherweise viel vom Sprachwitz verloren geht.)

Ich: „…und wenn das Volk seine Hilfe am dringendsten braucht, dann wird er sich erheben, der Berg wird sich öffnen und er eilt uns mit seinen tapferen Männern zur Seite.“

Earl: „Nette Geschichte. Unsere Könige sind entweder tot oder haben uns verflucht.“

Druide: „Wie die Legende der Männer von Ulster, die unter Wehenschmerzen leiden, wann immer das Königreich in Gefahr ist.“

Earl: „Genau. Unsere Fianna sind ja auch irgendwo vergraben.“

Druide: „Ihr hätte die Gelegenheit dazu, ihre Gräber zu finden, jetzt, wo ihr den ganzen Hügel aufreißt. Dann hätte diese Scheissaktion wenigstens einen Grund.“

Earl: „Fang nicht schon wieder damit an.“

Ich: „Worum geht es genau?“

Frau: „Es geht um die Autobahn, die über die Hills of Tara gebaut wird. It’s all a big mess …“

Druide: „A big mess? Es ist eine Schande, unser größtes nationales Monument zu zerstören.“

Ich: „Monument? Inwiefern?“

Earl: „Ein grüner Hügel, bedeckt mit Schafkötteln.“

Druide: „Du wirst es nie verstehen.“

Earl: „Aber anscheinend ein ganz besonderer grüner Hügel, bedeckt mit Schafkötteln.“

Druide: „Gerade am heutigen Tag solltest Du mit solchen Äußerungen etwas vorsichtiger sein.“

Earl: „Ich bin mir recht sicher, dass es auch den toten Kriegern und Königen von Tara gleichgültig ist, ob ein Schaf auf sie scheißt oder ein Auto darüber fährt.“

Frau: „Es geht doch aber um die Geschichte des Ortes, die damit verbundenen Sagen und die kaum archäologisch erschlossene Gegend drumherum. Gerade erst haben sie wieder einen Findling mit keltischen Mustern aus dem Weg geräumt. Man kann unser Erbe doch nicht so mit Füßen treten!“

Ich: „Werden denn dort noch Rituale gefeiert, gibt es noch intakte Kultstätten?“

Druide: „Unglücklicherweise nein. Wir haben ein paar Meilen außerhalb einen Kreis.“

Ich: „Dann ist es ja gut. Wofür ist es denn wichtig, dass der Hügel naturbelassen bleibt?“

Frau: „Alle Hügel von Tara haben eine besondere Energie aufgrund ihrer Geschichte…“

Earl: „… einer besonders geschmackvollen Geschichte voller Mord und Intrigen. Die irischen Könige waren keine Heiligen und der Hochkönig ist nicht allumfassender Herrscher geworden, weil er höflich gefragt hat.“

Druide: „Das kann sogar stimmen.“

Ich: „Wäre es dann nicht besser, ein geschichtlich unbefangenes Heiligtum zu errichten? Ein neues Zentrum für die Heiden von heute, anstelle einer Kultstätte toter Krieger und Könige?“

Druide: „Du als Deutscher hast leicht reden, bei euch schlafen die Könige in großen Bergen, an denen die Autobahn drumherum fahren muss. Vielleicht sollten wir unsere Könige auch nur ruhen lassen, anstatt sie in den Sagen immer wieder heldenhaft sterben zu sehen. Euer Ansatz hat mehr Zukunft.“

Ich finde eben, dass zu viele Heiden an den alten Stätten hängen. Die Spiritualität unserer Vorfahren mag ein Leitfaden für uns sein, aber wir sind nicht davon abhängig. Wenn wir schon unsere Bräuche neu erfinden, dann ist es ja fast schon schlüssig, auch das ganze Drumherum neu zu bauen.

Es mag sogar Vorfahren gegeben haben, die wesentlich magischer agierten, als diejenigen, die die Kunst beherrschten, große Steinbrocken von A nach B zu transportieren. Im Sinne von Frau Weatherwax hatte ich einmal die Frage, was denn ein Cairn sei, beantwortet: Das ist irisch für „langweiliger nutzloser Steinhaufen“.

Wir sollten uns mehr auf unsere Gegenwart und Zukunft konzentrieren und die Toten ruhen lassen. Und hoffen, dass es uns nie so schlecht gehen wird, dass wir ihre Hilfe brauchen.