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- Veröffentlicht: 06. Juli 2009
Wir waren weg, unsere Hochzeitsfeier zu begehen. Dafür wurden mit Mords-Aufwand ein toller Gode, eine noch tollere Band und Künstler, Fotografen, Buffet, Blumenportale etc. aufgefahren, wir haben es an nichts mangeln lassen. Von langer Hand geplant, feinsäuberlich durchgeführt und dann plötzlich vorbei. Meine Frau weinte noch eine letzte Träne ihrer vergangenen Freiheit hinterher, weil sie nie wieder Braut sein könne, ich packte alles ins Auto und weg waren wir, wieder im Alltag.
Die Hochzeit war streng heidnisch arrangiert, inklusive dem berühmten Binden der Hände und dem Rumreichen des Methorns. Stolz könnten wir sagen, das wir es wohl geschafft haben, ein „Handfasting“ gemacht zu haben, dass für zukünftige Recherche bei Wikipedia als Vorbild hinterlegt werden könnte. Selbst meine Mutter musste ein paar Tage später telefonisch eingestehen, dass sie zuerst Zweifel hatte, es aber perfekt gewesen war.
Der spannende Teil – weshalb ich es hier beschreibe – ist, dass generell der Großteil der Gäste historisch bedingt noch nie auf einer heidnischen Hochzeit war und es deshalb Neuland für sie war. Und zwar so neu, wie Kolumbus in Indien, wenn ihr diesen, mit Verlaub, genialen Vergleich ohne weitere Erklärungen annehmt …[ich versteh‘s nicht]
[Kolumbus war nie in Indien.]
[war er nicht?]
[Er war in Amerika.]
[...]
[Und glaubte nur, Indien entdeckt zu haben.]
[... das ist ein genialer vergleich?]
[Ja doch!]
Die Hexen krähen ja immer gerne herum, auf welch ach so alte Tradition sie sich berufen und wie altüberliefert ihr ganzes Gebaren doch sei. Ich aber sage, das einzige Element mit Tradition in unserer Religion ist der Duft einer lieblichen Blume und das rituelle Schnuppern daran mit geschlossenen Augen. Der ganze andere Rest ist neu geschrieben oder neu interpretiert und das finde ich auch echt großartig.
Es gibt wenig Schlimmeres als Menschen, die unsinnige Dinge tun mit dem Argument der Überlieferung. Die ganzen großen Religionen haben vollkommen veraltete Handlungsvorschriften, wie zB der Verzicht auf Schweinefleisch bei den Wüstenvölkern. Früher, als es noch keinen Kühlschrank und Gesundheitsamt gab, war es vielleicht sinnvoll, auf Schweinefleisch aus hygienischen Gründen zu verzichten und überhaupt koscher zu essen und in der Hitze keinen Alkohol zu konsumieren, aber wieso kriegt mein Lieblingsdönerbudenknecht immer doofe Anfragen von nur noch emotionell erhitzten Wirrköpfen, die fragen, ob das Fleisch auch ja halal zubereitet wurde? Und hassen wir es nicht alle, wenn man neu in einem Job ist und jede Initiative abgeblockt wird mit den Worten: „Das haben wir immer schon so gemacht“?
Unabhängig von Diskussionen über Sinn und Unsinn von zu langer Überlieferung ist es bei uns nun einmal so, dass es so etwas nicht gibt. Man muss ehrlich sagen, dass die Art und Weise, wie wir im Kreis stehen, Elemente rufen und Traumwanderungen machen, von uns neu entwickelt wurde und noch wird. Ich bin selber ein Teil dieser Progression.
Wir können anhand von indianischen Ritualen oder Felszeichnungen oder Schamanen in Sibirien vielleicht Ideen bekommen, wie es auch unsere Vorfahren machten, aber es ist dennoch neu … und zeitgemäß! Letzteres haben wir allen anderen Religionen, außer vielleicht den Jedi voraus, das ist unsere Stärke, das sollte klar werden.
Meine Familie kommt aus einem angepasst katholischen Haushalt, das heißt, wir mussten alles über die Bibel wissen, es wurde gebetet, auch wenn keiner daran glaubte, wir gingen in die Kirche wegen dem sozialen Kontakt und meine Erzieher fühlten sich verpflichtet, mich nach christlichen Werten hochzubringen. Es gab einfach keine religiöse Alternative, da mache ich niemandem einen Vorwurf, sie haben es nur gut gemeint.
Die Familie meiner Frau stammt aus komplett areligiösen Verhältnissen. Religion wurde weder praktiziert noch überhaupt nur als irgendwie existent diskutiert. Auch die wollten nicht mutwillig die Kinder dem Mystizismus entziehen, es war in der dortigen Gesellschaft eben so. Bezeichnenderweise hatten die dann sogar noch weniger Zugang zu den Ritualen bei der Hochzeit, als die christlichen Anwesenden.
Bei der großen und grenzgenial durchgeführten Beschwörung der Runen und Elemente zu Beginn der Zeremonie ist bestimmt manchem der Anwesenden mulmig geworden. Nur mein kleines herzensgutes Großmütterlein, die forsch auf die 90 zugeht, die hatte nicht den Anflug eines Problems damit. Auf meine Rückfrage, wie es ihr denn gefallen habe, sagte sie: „Es war sehr schön.“ Ich fragte nach: „Und wie fandest Du das zeremonielle Brimborium?“ Sie zuckte mit den Schultern und antwortete: „Ach weißt Du, es ist doch im Grunde alles dasselbe. Ob man es jetzt so macht, oder so...“
Und sie hat irgendwie recht.