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- Veröffentlicht: 17. Februar 2012
"Wohin gehen die toten Hexen?"
"Moment, ich frage mal nach."
Ich unterbreche den theologischen Diskurs mit meinem Kinde und betrete die Zwischenwelt.
TOD: "Ja bitte?"
Ich: "Und?"
TOD: "Was für eine Antwort hättest Du denn gerne?"
Ich: "Och, weich nicht schon wieder aus. Du musst schon Tausende Hexen 'befördert' haben."
TOD: "Die sind alle woanders hin. Seltsames Volk, wenn Du mich fragst."
Ich: "Wie wird es denn für mich sein?"
TOD: "Was hättest Du denn gerne?"
Ich: "Spielt das eine Rolle?"
TOD: "Was denn sonst?"
Ich: "Ich denke, ich würde mich gerne auflösen."
TOD: "Einfach so?"
Ich: "Na, wie so eine Sprudeltablette. Und wenn der letzte Rest auf der Oberfläche pfft gemacht hat, dann trinken mich meine Kinder."
TOD: "Pfui Schmetterling."
Ich: "Die Mineralien nimmt der Körper meiner Nachfahren auf, den Rest pullert er in die Welt zurück."
TOD: "Entzückend."
Ich wechsle wieder auf die normale Kommunikationsebene und sage, sehr zur Beruhigung des besorgten Kindes: "Wir kommen auch in den Himmel. Cool, nicht?"
Je älter ich werde, desto öfter greife ich zu einem Foto eines Ahnen von mir und stelle mir vor, was er oder sie gerade gedacht hat, als das Bild gemacht wurde.
Ob er wusste, dass 100 Jahre später jemand über ihn grübeln würde? Ob er daran glaubte, dass seine Geschichte(n) mal jemanden interessiert, man sich vielleicht sogar etwas aus ihrem Lebenswerk zu Herzen nimmt oder versucht, den roten Faden ins Heute zu finden?
Wahrscheinlich fragten sie sich nur: "Mannomann, wie lange soll ich noch stillhalten?!" Aber sie können nichts dagegen tun, dass wir über sie nachdenken und sie zu einem Teil unseres Lebens machen, auch in Bereichen, die sie gar nicht kennen. So gibt es zum Beispiel einen kanadischen Künstler namens Madchild, der rappt die Zeile: "...I will not go to length, cause I rap with my grandfather's strength!" Er hatte vorher eine für ihn sehr unangenehme Drogenkarriere durchgemacht und seinen sehr klugen Texten ist zu entnehmen, wie sehr er damit kämpfte, freizukommen. Sein Großvater wusste bestimmt nichts von Oxys oder Percs oder HipHop, aber der Gedanke, dass ein Teil von seiner Stärke in ihm wohnt hat Shane bestimmt viel Kraft gegeben.
Man muss nicht unbedingt davon ausgehen, dass unsere Vorfahren als Geister mit eigener Persönlichkeit noch um uns herumschwirren. Die wollen ihre Ruhe haben. Aber solange wir an sie denken, ob im Speziellen oder allgemein, beeinflussen sie uns und sei es nur in dem Satz: "Deine Ahnen wären stolz auf dich", was ich das schönste Kompliment finde, das man geben kann. Und während ich diese Zeilen schreibe, merke ich, wie ich Gänsehaut bekomme, beim Gedanken daran. Wir müssen uns vor dem kollektiven Gewissen aller unserer Vorfahren rechtfertigen, die sind wesentlich strenger als der verzeihende Christengott, deren Anerkennung ist aber auch nicht so beliebig...
Der Christ Madchild schreibt an einer Stelle: "...I'm not looking forward to the day I will get judged, though I know he is forgiving and he doesn't hold a grudge." (Freedom) und das erste, woran ich hierbei gedacht habe ist gleichzeitig der Hauptunterschied zwischen Christen und Heiden: "Also meine Göttin verzeiht nichts und ist unheimlich nachtragend."
Oberflächlich betrachtet ist das ein Nachteil, aber er sorgt dafür, dass sich Hexen vorher überlegen, ob sie etwas Dummes tun wollen, denn ihnen wird nichts verziehen, nicht von der Welt und ganz bestimmt nicht von unseren Vorfahren, ich fürchte, die haben noch weniger Humor und prüfen uns ständig.
Andererseits können wir dann aber auch aufrecht durchs Leben gehen, denn wir leben mit der Kraft und der Anerkennung unserer Vorfahren.