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- Veröffentlicht: 01. Oktober 2019
Das erste, das Leute sagen, wenn sie auf einem Hexenstammtisch oder sogar gleich zum Ritual mitkommen, ist, dass sie fühlen, endlich gleichartige Menschen getroffen zu haben. Das macht sie glücklich, dachten sie bisher doch, dass sie alleine wären. Endlich können sie sagen, was sie fühlen und werden nicht seltsam angesehen oder in Schubladen gesteckt. Man fühlt sich verstanden.
Ich nannte es: Nach Hause gekommen.
Zuerst werden viele Fragen gestellt, die immer darum gehen: was ziehe ich an, was darf ich tun, was eher nicht und wie ist das eigentlich mit den Geschichten aus Film, Fernsehen und Literatur? Die meisten, echten und liebenswerten Neuhexen sind sofort erleichtert, wenn sie merken, dass alles okay ist und wir keine strengen Regeln jenseits des gesunden Menschenverstandes verlangen. Dass eben genau das zutrifft, was sie erwarten: Tue, was Du willst, solange Du niemandem schadest.
Dazu gehört natürlich auch, den anderen Mitgliedern des Zirkels nicht quer zu laufen, versteht sich.
Ganz viele fühlen gewichtige Unterschiede zwischen ihrer Sicht, ihren Erwartungen und den Gemeinschaftsregeln und nennen sich fortan "freifliegende Hexe". Das ist okay, solange sie dann keine faschistoiden Meinungen über Lebensart und Andersdenkende verbreiten.
Schon sehr früh, in den Neunzigern, wurde auf Hexenforen herumgetrollt, das Internet ist leider ein allzu einfacher Ort, diese Attitüde auszuleben.
Bei manchen verschwimmt der Unterschied zwischen Naturreligion und Fantasy zunehmend, das stimmt leider auch, die meisten von denen sind aber harmlose Spinner. Das letzte Wort meine ich im Sinne von "Geschichten spinnen/weben".
Ich flame selbst gerne gegen die anderen, die versuchen eine religiös esoterische Nische zu besetzen und Geldvorteile zu erringen, denn das sind miese Faker, die nicht wissen, was richtig und was falsch ist. Fakt.
Die anderen jedoch liegen mir sehr am Herzen und denen zu helfen bin ich auch jederzeit bereit.
Ähnlich ist es mir in den letzten Monaten ergangen, als ich in einer Therapiegruppe teilnehmen durfte. Wer dieses Weblog kennt, der weiß, dass ich gerne dem Alkohol zuspreche. Das ist mir im letzten Jahr ein wenig aus der Hand geglitten und deshalb habe ich mich in einer Selbsthilfegruppe angemeldet, bevor ich meine Frohnatur bereue. Das Ziel dieser Sitzungen war für mich, dass ich einen speziellen Grund habe, einfach mal völlig substanzfrei zu leben und nicht nur für eine gewisse Zeit zu verzichten, damit ich mich wieder ohne Widerstand disziplinieren lerne. Das Vorhaben war gut geplant und hat auch wunderbar geklappt.
Zuerst war es natürlich eine Umgewöhnung, weil es eben viel zu einfach ist, aus Feierlaune, Trauer oder Wut oder Weltschmerz heraus, Alkohol zu trinken, zu kiffen, oder sonstwas einzuwerfen.
Sehr bald merkt man aber, dass es zwar manchmal schwerer ist, den Lärm dieser Welt auszublenden, jedoch die gesundheitlichen Vorteile klar vorteilig sind.
Auch für den Kopf ist das direkte Lösungsmodell ohne Umwege auf Dauer besser.
Ich bin also zufrieden mit meiner Entscheidung, meine Lebensführung zu überdenken und die Zügel anzuziehen. Ich werde ja trotz aller Magie um mich herum auch nicht jünger ...
Weshalb ich hier davon erzähle ist, dass in dieser Gruppe eben auch so Menschen waren, die sich gefunden haben und froh sind, dass sie endlich ohne Masken auftreten können, in einer vorurteilsfreien Umgebung. Es waren sehr unterschiedliche Typen, aus allen Altersgruppen dabei mit unendlich vielen Vorgeschichten und ihnen zuzuhören oder selbst frei zu reden, das war sehr angenehm. Mir fiel im Laufe der Monate aber auf, dass es nicht die jeweilige Droge war, die das Denken und Verhalten der Menschen trieb, sondern dieses seelische Päckchen, das alle herumschleppen. Wir haben alle mehr oder weniger einen "Schaden", der nicht in die Gesellschaft passt.
Deswegen ist es besonders erholsam, sich immer zu vergewissern, dass wir eben nicht alle perfekt und nicht so wahnsinnig passend sind, wie wir es von uns selbst und die Gesellschaft von uns erwarten.
Wie spanne ich jetzt hier einen Bogen um die ganze Geschichte?
Mir fiel immer schon auf, dass Hexen nicht die angepassten, voll funktionstüchtigen Menschen sind. Wir sind alle Suchende und vor allem Hoffende.
Wir suchen etwas, das wir schön finden und hoffen, dass es anhält, dass es echt ist.
Das sollte eigentlich nichts besonderes sein, denn in unserem wunderbaren, kurzen Leben gibt es viele Momente voller Grandeur. Sie zu erkennen und wertzuschätzen ist aber oft im Weg, wenn es darum geht, in den Alltag zu passen. Viele verzichten darauf, weil es einfacher ist und weil sie Angst haben, ausgelacht zu werden. Man muss ja nur versuchen, das Wort "Ritual" in ein Gespräch einzubauen. *zwinkersmiley*
Für Hexen ist das Wandeln auf der Hecke zwischen den Welten ein Risiko, wie es die Leidenschaft für eine bewusstseinsverändernde Substanz sein kann. Beide wollen mehr, sogar alles aus dem Leben herausholen, nichts schönes verpassen und alle finden es toll, wenn das verstanden wird.