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- Veröffentlicht: 24. November 2010
Ich hatte immer schon gewisse Schwierigkeiten mit Menschen, die behaupten, sie können das kleine Volk sehen. Schon weil diejenigen oft so seltsam rüberkommen, dass sich selbst mir das Wort "Spinner..." aufdrängt. Wenn eine übergewichtige Matrone, gekleidet in einen "Traum" von Tüll, Rüschen und Seide, behangen mit so viel Schmuck, dass man nicht weiss, ob sie sich deshalb so langsam bewegt, damit sie sich nicht bei jeder Bewegung schlägt oder piekst, mir augenrollend versichert, dass sie na-tüüür-lich die kleinen Leute beaobachten kann, dann bekomme ich einfach mal Zweifel.
Es kann sein, dass ich nicht das richtige Amulett trage, nicht den korrekten Priester-Level verliehen bekommen habe oder einfach nur blind bin, aber, wenn überhaupt, dann fühle ich das Feenvolk nur manchmal. Und ich bin echt froh, dass das so ist.
Als Lektüre empfehle ich: "Fairies, and How to Avoid Them" von Perspicacia Tick. Als kleine Anmerkung vorab: Im Gegensatz zu dieser fiktiven Autorin gibt es das kleine Volk wirklich, nur ist unsere Vorstellung davon viel zu sehr von kindlichen Geschichten und Zipfelmützen geprägt. Es gibt sie, weil wir an sie glauben, wie so oft. Verschwinden wir von der Erde, dann sind sie auch weg. Sie gehören nämlich nicht zum Land, sondern zu den Menschen. Aus dem Grund legen sie auch grob menschliches Verhalten an den Tag und das ist, wie wir wissen, meistens ein egoistisches und hinterhältiges.
Sie können auch loyal, ehrlich und selbstlos sein, aber der Anteil ist ebenso gering, wie bei uns Menschen.
Ich war mir bisher nicht sicher, ob jeder Mensch seine eigenen kleinen Leute erschafft und sieht, oder ob man alle erleben kann. Inwiefern sind sie wirklich unabhängig von unserer Vorstellung?
Der Antwort zu dieser Frage bin ich dank meiner kleinen Neugeborenen ein Stück weit näher gekommen. Sie freut sich, wenn ich bei ihr bin, sie herumtrage, kuschel, ihr die Wohnung und die Familie zeige, aber sie guckt ständig irgendwo anders hin. Nur selten sah sie mich an, wenn ich mit ihr redete. Diesem Phänomen wollte ich auf die Schliche kommen.
So fing ich an, darauf zu achten, wo sie hinguckt, wenn ich sie rumtrage. Damit man das vergleichen konnte, musste das Experiment immer die gleiche Voraussetzung haben, das heisst, sie musste wach, satt, trocken und gut gelaunt sein. (Wie andere Eltern leicht verstehen werden, war das ein mehrtägiges Projekt...)
Ich begann in der Küche. Hier war sie total abgelenkt und blickte stur zum Herd und zum Vorratsschrank. Egal, wie ich sie drehte, sie versuchte ihren Kopf hinzudrehen. Nur wenn die ganze Familie am Tisch saß, konzentrierte sie sich auf uns.
Im Wohnzimmer dachten wir zuerst, sie glotzt die Stehlampe an und findet nur den Lichtkegel schön. Ich wunderte mich, dass sie nie zu den bunten und optisch auffälligen Dingen sah, also zum Beispiel zum Altar oder den Bildern. Sie guckte fast nur die Pflanzen unter den Lampen an. Und sobald ich mich mit ihr dem Objekt ihres Interesses näherte, zuckte ihr Kopf zur Seite, als würde sie etwas hinterhersehen, das gerade abhaut.
Im Schlafzimmer fühlt sie sich besonders wohl. Und wenn sie nicht glucksend vor Freude auf der Wickelablage strampelt, dann beobachtet sie das Treiben in unserem Betthimmel. Da scheint viel los zu sein. Letztens hatte ich dann beschlossen, nachzusehen, kletterte auf das Bett, wackelte am Tuch am Plafond und sah nichts. Als ich dann aber wieder beim Baby war, hatte sie ihr Interesse an der Stelle verloren und widmete sich wieder in Ruhe ihrem Daumen.
Im Flur, Bad und im Kinderzimmer war sie durch nichts abgelenkt, deshalb gehe ich am besten immer mit ihr dahin, wenn ich herumalbern will.
Der Verdacht erhärtet sich, dass wir Feenvolk in unserer Wohnung beherbergen, das sich am liebsten in der Nähe unseres Pflanzengewirrs aufhält oder hinter aufgestellten Bildern. Unseren Altar meiden sie ebenso, wie Orte, an denen gearbeitet wird.
Gestern hatte ich mit den anderen Kindern, die ja schon erheblich älter sind darüber gesprochen und erhielt eine Flut an Ideen, Vorstellungen, halbgaren Erlebnisberichten und ängstlichen Fragen, was mir zeigte, dass die Kunst, das kleine Volk zu sehen, mit dem Alter verschwindet. Das ist meiner Meinung nach sehr angenehm, denn wir wollen sicher nicht andauernd daran erinnert werden, dass wir nicht alleine sind. Kindern macht das aber Angst, denn sie hören manchmal noch etwas und sehen kleine Schemen und das können sie sich nicht erklären, das macht Angst.
Unsere Aufgabe ist es, den Kindern beizubringen, mit dieser Angst umzugehen. Es hilft nichts, sie ihnen auszureden, logisch zu erklären oder sich gar lustig zu machen. Ihre Furcht vor dem Unbekannten ist begründet. Es geht ihnen wie einem Menschen, der langsam erblindet, gleichzeitig aber froh sein sollte, dass sein Gehör immer besser wird. Als Hexen können und müssen wir unseren Kindern beibringen, wie man damit umgeht, denn sie leben näher an der Geisterwelt als andere Kinder. Ich erzähle ihnen dann meist Geschichten von guten Hausgeistern und frechen, aber ängstlichen Feen und dass sie doch keine Angst haben müssen, weil das Feenvolk vor Hexen besonderen Respekt hat. Ich kann nur hoffen, dass ihnen das etwas Selbstbewusstsein gibt, um die Nächte gut durchzuschlafen und nicht immer auf das Getrappel kleiner Füße zu hören. Ich möchte, dass unsere Kinder unsere Mitbewohner akzeptieren, auch wenn sie immer unsichtbarer werden.
[schnüff]
[Was?]
[das hast du schön gesagt]
[Schon in Ordnung. Whisky?]
[immer]