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- Veröffentlicht: 25. Mai 2010
Meensch war das peinlich. Man darf mich einfach nicht auf die Menschen loslassen, so ohne Anweisungen.
Vorab: Ich bin dieses Christenbashing ja mittlerweile leid. Immer nur darauf hinzuweisen, wie brutal, rücksichtslos und verheuchelt die Christen ihre Religion ausüb(t)en und sich noch nie von ihrer Vergangenheit distanziert haben, bringt doch nichts, das wissen wir doch schon alle. Ich wollte auch nie ein reines Anti-Board machen wie das hier, weil das weder interessant noch nützlich ist, aber die Christen geben einem einfach zu viele Möglichkeiten, mit wegen ihnen Spaß zu haben.
Eine meiner neuen Arbeitskolleginnen hat mir angeboten, in ihrem Chor zu singen. Da ich gemeinschaftliches Singen gut finde, habe ich zugestimmt. Ich erinnere mich noch an eine meiner ersten heidnischen Veranstaltungen, die da lautete "Singen für Heiden". Das war ein mutiger Vorstoß, weil Hexen gemeinsames Arbeiten weder kennen, noch wünschen. ("Witches don't like to be together, they just like to know where all the other witches are, just in case..." STP). Damals habe ich mich getraut und was noch viel besser war: Meine dem Singen absolut abgeneigte Frau-in-spe ging da zufällig auch hin, wo wir uns kennenlernten. Aber ich schweife ab ...
Natürlich habe ich erst vor Ort erfahren, dass die angegebene Adresse ein sogenannter Gemeindesaal war, im Hinterhof einer unglaublich häßlichen evangelischen Kirche. Ich wunderte mich noch, wie man drauf sein muss, um in einem schmucklosen Betonklotz, mit dem Charme eines Führerbunkers nach dem Sandstrahlen, die Reize Gottes zu feiern. Dann sichtete und versteckte ich alle meine satanistischen Paraphernalia und betrat die Höhle des Löwen.(pardon the pun)
Wie alle Hexen suchte ich mir instinktiv den Hintereingang aus und stand, wie so oft, in der Küche. Die erschrockene, aber schnell zu beruhigende Köchin wies mir den Weg, der aber in der Besenkammer endete. Ein Dutzend Versuche und gleich viel "Segen auf dieses ... ähm ... Badezimmer", oder so ähnlich, später, gab ich auf und ging direkt durch den Haupteingang in die Halle mit dem großen Echo.
Katholische Kirchen sind ja deshalb so ein großer Erfolg gewesen, weil es für die einfachen Leute so viele bunte Bilder und Gerüche gab, die ein wenig vom Alltag ablenkten. Steht man nun in einer protestantischen Kirche (Klingt doch schon so wie: Was auch immer: wir sind dagegen!) ist einem sofort spontan erst mal langweilig.
Irgendwo hinten hörte ich Stimmen. Das mussten sie sein. Ich spazierte am Altarklotz vorbei zur Pforte im hinteren Raum, öffnete die Tür, sah bekannte Menschen und begann wie immer: "Segen auf dieses ..." Ich sah mich um. Da war nicht mal ein Fenster. "... Zimmer. Hallo, ich bin Raphael." Meine Kollegin kam zu mir und das erste, was sie sagte war: "Kannst Du bitte den Hut absetzen? Wir sind hier in der Kirche." Ich folgte ihrem Rat schnell, fragte aber zurück: "Jesus war doch Jude, oder?"
Zwei oder drei der Anwesenden kamen auch heran, einer von ihnen sagte schnell: "Ja, wieso?" Er blickte misstrauisch. Was erwartete er jetzt von mir? Dass ich rufe: "Heilt Hitler oder euch selbst!", "Wo waren die Nazis, als man sie mal brauchte?" oder gar die gefürchteten Worte: "Alllah ist groß und ihr gleich tot!" Nichts von dem hatte ich (heute) vor.
"Ich war mal in einer Synagoge. Dort wurde ich strengstens darauf hingewiesen, immer mein Haupt zu bedecken und in den Tempeln der Nachfolgereligion darf ich das auf keinen Fall tun? Wenn das der selbe Gott ist, hat er dann seine Meinung geändert, oder Sonderregeln für Christen vorgesehen, damit die weniger schwitzen? Ich verstehe, das nicht."
Antwort: "Das hat sich so entwickelt." (Gähn, da gibt einer zu, nie darüber nachgedacht zu haben.)
"Aber die Juden fühlen sich heute doch noch dazu verpflichtet, ihr Haupt zu bedecken. Könnt ihr Gott nicht mal fragen? Der soll sich mal auf was einigen."
Ein mildes Lächeln, ein Klopfen auf die Schultern und die Worte: "Lass uns lieber singen gehen. Hast Du schon mal im Chor gesungen?"
Ich folgte den Leuten einen Raum weiter. Hier gab es wenigstens Tische und Stühle mit einer mutigen Deko aus Plastikprimelchen. Wir setzten uns im Kreis hin, es waren vielleicht 20 Frauen und Männer und dann ... liebe Leute, geneigter Leser ... dann haben wir gebetet. Ich bin da pragmatisch und sage mir, das kann nie schaden. Ganz ehrlich: Sollte ich aus der Not heraus gedrungen zu sein, Götter anzurufen, dann täte das lauten: "An alle die gerade zuhören: Hilfe?!" Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass ich mich die ganze Zeit geirrt hatte, dann kann der Gott meine Seele gerne haben, zusammen mit einer Entschuldigung. Er müßte sich aber auch dem Vorwurf gefallen lassen, dass er sich früher hätte melden können.
Dem Beten folgte eine Ansprache des Priesters, ein auf jung und engagiert gemachter Endfünfziger, der beginnt mit den Worten: "Wir haben uns getroffen, um gemeinsam zu singen. Gerade in diesen Tagen ist wieder viel vom heiligen Geist die Rede. Und von Fussball." Er hält inne und erntet die zu erwartenden Wir-sind-alt-aber-hip-Lacher. "Wo immer Fussball ist, da kommen viele Menschen zusammen und wo immer viele Menschen sich im Geist Gottes versammeln, da herrscht Frieden."
Ich bin fast vom Stuhl gefallen vor Lachen. Es kam unkontrollierbar aus mir heraus, ich lachte und lachte, bis mir der Bauch weh tat und Tränen meine Wange herunterliefen.
Als ich wieder reden konnte und in die verdutzten Gesichter blickte, erklärte ich in meiner Naivität: "Kreuzzüge, Inquisition, Dreissigjähriger Krieg, die systematische Vernichtung der Indios, selbst der zweite Weltkrieg - ich sage nur: "Mit Gott", das kann man doch nicht wirklich Frieden nennen! Milliarden Menschen haben gelitten und sind gestorben weil Menschen sich im Geist Gottes versammelt haben! Milliarden! Das sind tausende Millionen! Das kann man doch nicht einfach so wegignorieren." Noch immer kichernd wischte ich mir die letzten Tränlein aus den Augen und fragte dann: "Wann singen wir jetzt?"