Vor langer Zeit, als ich noch keine Kinder hatte, gab es ein Lied von Reinhard Mey, das mir besonders gut gefiel und das ich oft hörte, schon weil es auf einer seiner wunderbaren Live-Platten drauf ist, nämlich "Kleines Mädchen".
Eigentlich höre ich bis heute eher böse Musik und trieb mich dereinst in schummrigen Schuppen mit dubiosen Leuten herum, aber die Lieder und Texte von Reinhard Mey haben mich immer berührt.
Ich brachte das Kunststück zuwege, hintereinander Hecate Enthroned aufzulegen und danach Herrn Mey und bei beiden aufgrund überschäumender Emotionen zu weinen.

"... mir doch gerade erst geschenkt, gestern kaum erst ein Jahr;
und heut' Schleifen und Spangen und Bänder im Haar."

Unsere Kleine bewundert sich schon im Spiegel und dreht sich hin und her, um ihr Kleidchen zu prüfen. Tatsächlich ist auch sie (anders als ihre große Schwester) ganz versessen auf Mädchenkram wie Spangen und rosa Kätzchen als Applikation.
Dabei war sie doch wirklich gerade erst das Gummibärchen, das ihre Geschwister im dicken Bauch der Mama bewundert haben. Erschreckend wie die Zeit vergeht und seltsam der Gedanke, dass ich in der Zwischenzeit gar nicht wirklich viel gemacht habe...

"Und die Hand, die da über die Tasten spaziert,
erlaubt heute noch, dass die meine sie führt."

Meine große Tochter würde mir nie erlauben, ihre Geige anzufassen, sie liest lieber, als sich zu unterhalten und Hilfe braucht sie für nichts mehr. Zum Trost haben wir noch ein kleines Mädchen nachgeboren, aber jetzt besteht diese darauf, ein großes Mädchen zu sein und zu meinem Schreck hat sie sich heute selber die Schuhe angezogen. Sie war ganz stolz, aber ich vermisse es, wie sie sich rückwärts auf meinen Schoß fallen ließ und mir vertraute, sie adäquat zu bekleiden.

Ich fand viel Selbstbewusstsein darin, dass die Kinder mich brauchten und bewunderten und hatte nie Probleme damit, in der Nacht aufzustehen, wenn es ein Problem gab. Da die Unsrigen gute Schläfer sind ist das nie ausgeufert.
Dennoch hatte ich das Gefühl, dass eine Ära zu Ende gegangen ist, als ich einmal um drei Uhr früh wegen Gegreine ins Kinderzimmer stolperte und sah, wie die Kleine von ganz alleine aufgestanden ist, ihr heruntergefallenes Stoffspielzeug vom Boden aufhob und von selbst wieder ins Bett schlüpfte. Und ich stand da sinnlos im Raum herum ...

"Doch sie gehen zu lassen ist die schwerste Lektion;
Geduld, kleines Mädchen, ich lern sie ja schon."

Nope. Das werde ich nie lernen, allenfalls akzeptieren. In unserer Mythologie sind es die drei Phasen, die eine Frau durchläuft (the maiden, the mother and ... the other), aber zu meinem Leidwesen muss ich merken, dass uns Männer das auch betrifft.

Reinhard Mey ist jetzt 70, seine Kinder sind lange erwachsen. Ich habe das Gefühl, dass er mich mit vielen seiner Lieder auf das Leben vorbereitet hat.
Oder begleitet und sogar getröstet. Ein großartiger Mann.