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- Veröffentlicht: 09. November 2015
Chancen muss man nutzen. Sonst ist das Leben vorbei und man ist voller Kummer, dass man etwas verpasst hat. Das ist so etwas wie mein Lebensmotto. Eines von vielen, zugegeben.
Wenn ich also eine Möglichkeit sehe, meinen Tag mit etwas Interessantem zu füllen, dann werfe ich mein Interesse ins Blaue hinein und renne kopflos hinterher.
Unlängst war ich mit Frau und Kindern auf Kurzurlaub in England. Alle haben gesagt: "Was? England im Herbst? Das ist doch nass und kalt!" Pustekuchen. Warm war es und kein einziger Regentag.
Wir verbrachten drei Tage in Bristol, einen in Bath, zwei in Glastonbury und einen in Cardiff. Klingt hektisch, war es auch, aber es hat alles geklappt, vor allem was Züge und Busverbindungen betrifft.
Glastonbury ist halt so eine Hippie-/Touristenfalle, aber es gibt dort echt viele Schmuckstückchen zu sehen. Weil dort der Chalice Well steht, der einen besonderen Zugang zu Avalon verspricht und Tor Hill, eine uralte Erhebung, wo schon vor 10.000 Jahren Menschen hingepilgert sind, die es angezogen hat. Gewohnt haben wir direkt am Marktplatz in einem total heruntergekommenen Hostel (wir waren alleine im Gebäude, denn bedenke: England im Herbst) und konnten vom Küchenfenster aus das bunte Treiben der Jung- und Althippies sehen. Jedes zweite Geschäft entlang der Hauptstrasse hatte irgendwas mit Hexen im Angebot ("The Cat and Cauldron", "Avalon"-, "Magick"- und "Fairy"-Irgendwas). Granny Weatherwax hätte ihre reinste Freude gehabt, darüber zu lästern. Ich fange gar nicht erst an, denn jeder weiss, was ich von Hexenzubehörausverkauf halte.
Aber der Rundgang über Tor Hill runter zum Chalice Well war echt ein Erlebnis, auch wenn man sich den Weg und die schönen Stellen mit einer Menge Tagestouristen teilen muss. Ich kann nicht sagen, ob meine Erwartungshaltung dazu beigetragen hat, den Garten rund um die Quelle sehr angenehm und energetisch zu finden, oder ob es wirklich so ist, aber ich saß unter einem der Apfelbäume und fühlte mich wohl. Ein besonders spirituelles Erweckungserlebnis hatte ich nicht, aber das ist ja auch nicht immer schön ...
In Cardiff waren wir eigentlich wegen dem Rugbyspiel Irland gegen Frankreich anläßlich der Weltmeisterschaft. Die Karten hatten wir schon ein Jahr vorher gekauft und es war wahnsinnig aufregend, zu diesem Großereignis anzureisen. Schon die Zugfahrt von Bristol nach Cardiff mit französischen und irischen Fans war schön und im Vergleich zu ähnlichen Veranstaltungen im Bereich Fussball total harmonisch und friedlich. Ich habe während des ganzen Tages (bei 72.000 Zuschauern) gerade mal 4 Polizisten gesehen, die sich dauernd mit französischen Fans fotografieren ließen. Obwohl der Alkohol in Strömen floß, war die Atmosphäre nur schön, auch wenn sich Fans von beiden Seiten Sprüche und Schmählieder gefallen lassen mussten. Aber jeder wusste, wie man verteilt, nachdem man einsteckt.
Und nun zurück zum Thema des Einleitungssatzes: Da wir ja schon früh in Cardiff waren, um dem Anreiseverkehr zu entgehen, dachte ich mir ein paar Wochen vorher, ich versuche einfach mal die lokale Hexengemeinde zu kontaktieren. Google spuckte mir genau einen Kontakt aus: Paganism Cardiff. Das klang doch schon einmal gut. Auf meine E-Mail erhielt ich lange keine Antwort und dachte mir, das ist zwar schade, aber so sind sie die Heiden: ein bisserl schüchtern. Dann aber, wenige Tage vor Abflug erhielt ich eine Einladung inklusive Telefonnummer von einer Person namens Midnight, die sich freudig bereit erklärte, uns die Stadt zu zeigen. Ich antwortete sofort, aber auch wieder erst am Abend vor unserer Zugfahrt von Bristol verabredeten wir uns mit Treffpunkt und Zeit für den morgigen Tag. Knapp kalkuliertes Zeitmangement haben die da in Wales, dachte ich mir.
Jetzt war es aber der Tag des Rugbyspiels und wir mussten uns Bahnhof und Stadt teilen mit zehntausenden Fans und (extrem freundlichen) Ordnern, die die Massen zu lenken versuchten. Dementsprechend kompliziert war es, den Treffpunkt (Briefkasten Haupthalle) zu erreichen. Midnight sagte, man würde sie an Hut und Ledermantel und einem weissen Stock erkennen. Das ist inmitten von grün und blau bekittelten Fans zwar ein guter Ansatz, aber es dauerte trotzdem länger bis wir uns mit Hilfe vieler Telefonate endlich fanden. Dann standen wir fünf schließlich drei Frauen gegenüber. Eine war jung und eher der Metal-Typ mit Alchemy-Shirt und Springerstiefel, eine war eine Endfünfzigerin, die sich auf einen Gehstock stütze und Midnight war ein blinder Steampunk. Ich war sofort begeistert.
Ich will nicht jedes Detail der Tour durch die Stadt erwähnen, aber die Herzlichkeit und die Mühe, die die drei sich machten war ehrlich herzergreifend. Ich werde das wahrscheinlich nie wieder gut machen können. Vor allem, wenn man die Handicaps einrechnet, die zwei von den dreien mitbrachten und sie sich dennoch durch die ganze Stadt zwischen dem ganzen Gewusel mit uns durchwühlten, das verlangt Respekt. In den wenigen Pausen zwischen Sehenswürdigkeiten und Behind-the-scenes-Stories, konnten wir uns sehr gut über die heidnischen Gepflogenheiten unterhalten und stellten fest, dass wir einen sehr ähnlichen Ansatz pflegen und beim Abschied schwörten wir alle auf gute Freundschaft und ein hoffentliches Wiedersehen.
Interessant ist besonders folgendes: Midnight ist so etwas wie der Kopf der seriösen heidnischen Gemeinschaft in Cardiff. Sie kam dort an zwecks Studium und blieb einfachheitshalber. Seit Jahren möchte sie die Hexen in Cardiff an einen Tisch bringen und Events organisieren, meint aber, dass das ausgerechnet in dieser Stadt nicht ginge. Sobald man die Stadtgrenzen verließe, gäbe es jede Menge Interessierter, aber gerade Cardiff mit all seiner Energie und Ley-Lines würde unheimliche Schwierigkeiten damit haben. Seltsam fanden wir und zum Schluß meinte sie, dass sie plant, eine Masterarbeit zu dem Thema zu schreiben. Ich bin gespannt.
Es ist ungemein interessant, Hexen von überall in der Welt kennenzulernen und Gedanken und Gebräuche auszutauschen. Sollte einer von euch in Cardiff sein wollen, sucht den Kontakt, ihr werdet es nicht bereuen.