Wenn ich bei uns durch die Fabrik schlendere, dann treffe ich alle möglichen Spielarten der Gattung Mensch. Auf dem sogenannten Ansatzboden, wo die Bestandteile der Farben,  die wir produzieren, zusammengeschüttet und in die Tanks weitergepumpt werden, muss ich regelmäßig vorbeischauen, um den Computer wieder einmal von Viren zu befreien und neu aufzusetzen. Dann klopfe ich an die Tür zur kleinen stickigen Kammer, in der es nach Kreidestaub, Bindemittel und Kaffee riecht und trete gleich forsch hinein, weil man eh nichts hören kann wegen all der laufenden Maschinen. Trotzdem gehört Anklopfen zur Etikette, wie ich finde, egal in welchen Kreisen man sich bewegt.

Drinnen sitzt der Vorarbeiter immer am offenen Fenster mit hochgelegten Beinen, raucht eine Zigarette und guckt verträumt nach draußen. Er ist ziemlich breit gebaut nach all den Jahrzehnten physischer Arbeit, hat sehr verquere politische Ansichten, ist aber an sich harmlos. Mit ihm im Raum befindet sich der Chemiker, der die Qualität der angerührten Farben testet. Der wiederum ist ein in die Jahre gekommener Punk, gerade frisch Vater geworden und deshalb relativ gesetzt. Trotzdem verlässt er mich und den Vorarbeiter nach einigen kurz gewechselten Worten immer, denn er kann den stets fast wortgleichen Dialog nicht mit anhören, ohne einen Anfall zu bekommen. Dabei ist es doch nur ein Ritual, mit dem wir uns abtasten, ohne wirklich politisch gemeint zu sein.

Ich: „Palimm palimm.“
Er: „Heil Hitler.“
Ich: „Freundschaft.“
Er: „Schon wieder der Computer im Arsch?“
Ich: „Wenn ihr eure Pornos zu Hause ansehen würdet, wäre der stabiler.“
Er: „Was soll man denn sonst in den Pausen machen?“
Ich: „Lies mal ein gutes Buch. Von ‚Mein Kampf‘ wird man auf Dauer weich in der Birne.“
Er: „Linke Zecke.“
Ich: „Wenigstens hänge ich hier nicht nutzlos rum. Das  hätte es unter dem Führer nicht gegeben.“
Er: „Da hätten andere für uns gearbeitet, freiwillig oder auch nicht.“
Ich: „Ich bezweifle, dass der überlegene Herrenmensch andere mit einer so wichtigen und herausfordernden Aufgabe betraut hätte, wie Wasser und Kreide in einem Pott zu mischen.“
Er: „Du mach Deinen Computerscheiß und ich mach meinen, du Bombenleger, langhaariger.“
Ich: „Habe ich Dir eigentlich in dieser Woche schon erklärt, woran man bei den Germanen Sklaven und unfreie Bauern erkannte?“
Er: „Erzähl’s mir doch noch mal.“
Ich: „Am geschorenen Schädel. Der freie Mann hatte immer lange Haare.“
Er: „Du liest zu viel in der Bibel.“
Ich: „Ich kann mit einiger Sicherheit sagen, dass das Wort Germane in der Bibel nicht vorkommt. Das ist nämlich kein deutsches Buch.“
Er: „Würde der Computer laufen, könnten wir das jetzt nachschlagen.“
Ich: „Ach, privat seid ihr plötzlich alles Computerexperten!?“
Er: „Aber hallo!“
Ich: „Dann könnt ihr ja die Startseite selbständig auf Wikipedia wechseln, ja?“
Er: „Russenschlampen.de ist doch auch ok.“
Ich: „Nein, ist es nicht! Außerdem sollte der deutsche Mann nicht fremde Frauen begehren. Was ist denn mit deutsche-maedels.de?“
Er: „Ach, die sind doch nur halb so gut.“
Ich: „Willst Du etwa andeuten, dass die Arierin an sich auf dem Gebiet unterlegen ist?“
Er: „Bist Du bald fertig? Ich muss weiterarbeiten.“
Ich: „Wenn es [zensiert, wegen mangelnder Humorbereitschaft der betroffenen orientalischen Religionsgruppe] Wille ist, dann wird es geschehen.“
Er: „Jetzt kommt der mir mit Religion…“
Ich: „Auf Deiner treudeutschen Gürtelschnalle steht doch auch ‚Mit Gott‘, obwohl ich mir vorstellen kann, dass der das ganz anders sieht.“

Dann bin ich meistens schon fertig, vergebe ein neues Kennwort, das der Betriebsleiter aber eine halbe Stunde später aus Faulheit wieder ausplaudern wird und starte den Computer neu.

Ich: „Erledigt.“
Er: „Der Führer dankt.“
Ich: „Sag Deinem Führer, ich muss ihn mal dringend sprechen. Ich möchte ihm einen Koffer schenken. Und dieses mal kein undeutsches Verstecken hinter preußischem Eichenmobiliar, ok?“
Er: „Ich werd’s ihm ausrichten.“
Ich: „Ich verlasse euch, aber der Göttin Segen lasse ich da.“
Er: „Kannste auch mitnehmen.“

Tja, wieso schreibe ich das hier auf? Weil es nun mal sehr viele, sehr eigenartige Menschen auf dieser Welt gibt und man mit ihnen leben muss. Es geht. Auch ohne sich gleich zu zoffen. Und das sieht der Kollege genauso. Aber für den und seine Kameraden bin ich der Freak.

[wo wir doch alle wissen, wie wunderbar normal du bist]