Die romantische Vorstellung über die Antike gefällt mir. Gelebt haben möchte ich zu der Zeit zwar nicht, aber es war damals so viel einfacher, eine geniale Idee zu haben…

Es ging um die Grundlagen. Heutzutage werden diese vorausgesetzt. Ohne sie hat man keine Chance, bei etwas Neuem dabei zu sein. Damals lag dem Denker die Welt offen zu Füßen. Man brauchte vielleicht ein Fass, um darin zu wohnen. Heute wiederum benötigt man einen Universitätsabschluss summa cum laude und Connections bis zur Speichergrenze des Blackberrys. Es schadet auch nicht, ein Handicap kleiner 10 zu haben.

Deshalb ist der Stellenwert des Chaos' gesunken. Die universelle Masse aus der das kreative Individuum Ideen schöpfen kann ist einer Baustelle gewichen. Das Fundament steht, die Ziegel sind gefertigt, das Gerüst wird gerade errichtet und der Mörtel ist instant. Das ist für den Normalsterblichen entweder zu langweilig oder zu kompliziert.

Ich habe angefangen, über dieses Thema wieder nachzudenken, als wir die Tage im Sandkasten buddelten. Meine Kinder spielen am besten und am friedlichsten, wenn sie möglichst wenig Spielzeug zur Verfügung haben. Zuerst nörgeln sie rum, aber wenn sie dann notgedrungen kreativ werden müssen, blühen sie nachgerade auf.

Es ist nur der Druck der Verwandten und der Werbung, die sie zwingen, immer mehr buntes Plastikzeugs haben zu müssen, mit dem sie dann eh nur kurz spielen und das höchstens dazu dient, noch eine Erweiterung mehr haben zu wollen. Wenn wir aber den Großeltern und Konsorten die Frage nach dem Geschenkebedarf unserer Brut wahrheitsgemäß beantworten, also dass wir nichts wollen außer Geld für Schuhe, Hosen und  Altersvorsorge, dann reagieren die pikiert, als würden wir ihnen nicht erlauben, sich bei den Kindern beliebt zu machen. Darum haben auch wir Schränke voller Zeugs.

Und dabei lieben wir alle es, aus absolutem Rohmaterial etwas zu erschaffen. Jeder Mensch hat so ein Steckenpferd. Sei es nun beispielweise Kochen, Schnitzen, Schneidern, Töpfern, Malen, Gartenarbeit oder Schreiben. Mit bloßen Händen etwas erstellen, das vorher nicht da war. Nur dabei fühlen wir uns wohl. Alles andere ist auf Dauer unbefriedigend.

Da die Götter nur deshalb existieren, weil wir ihnen Geschichten zuschreiben, sind sie durch die Bank mit menschlichen Zügen behaftet. Sie haben eine anthropomorphe Gestalt und auch ihr Charakter ist unserem abgekupfert. Es ist demnach anzunehmen, dass sie auch gerne im Sandkasten spielen. Daher kommen wohl all die Schöpfungsmythen, von denen ich die schönste bei Deep Space Nine fand, als Odo zurück auf seinen Heimatplaneten kommt, und in das Meer der anderen Gestaltenwandler gleitet, um dann regeneriert wieder daraus zu ersteigen. Seitdem benutze ich dieses Bild, um mir einen abgeschwächten Kreationismus schmackhaft zu machen.

Einerseits weiß ich natürlich, dass es keine eigentliche Schöpfung gegeben haben kann, weil der Mensch die Götter für sich als Werkzeug erfunden hat und deshalb zwangsweise vorher dagewesen sein muss. Andererseits gibt es die zwei großen ungeklärten Fragen nach dem Anfang des Universums und dessen Grenzen, die beide nicht logisch geklärt werden können. Und deshalb behalte ich mir nur für den Teil der Magietheorie vor, ins Mythologische abzugleiten. Das heißt: ich weiß nicht, wie es funktioniert, aber ich finde es schön und beruhigend.

In meinem persönlichen Schöpfungsmythos kommt eine gut gelaunte, eher rundliche Göttin mit roten Backen vor, die am Rand des Seelenmeers hockt, eine Kochschürze über der eher praktischen Kleidung trägt und mit einer Suppenkelle die Menschen schöpft, im wahrsten Sinne des Wortes. Und da das mein Mythos ist, lasse ich die Frage, aus welchem Material die Kelle ist, einfach mal unbeantwortet.

Danach schüttet sie den Menschen in ein Förmchen und platziert ihn auf zB der Erde.

Aus zwei Gründen ist mir diese Geschichte sehr wichtig:

Erstens erklärt sie, wieso wir mit Ahnen Kontakt aufnehmen können und sogenannte Déja Vus haben. Weil jeder Mensch nach seinem Tod wieder in das Seelenmeer fließt und sich mit allem vermischt. Wird ein neuer Mensch geboren, dann ist ein Stück von jedem vorherigen Leben in ihm drin. Die Erinnerungen, die Wesenszüge, alles noch da. Der olle Carl Gustav nennt das das kollektive Unbewusste, nur anders als er, habe ich dafür eine Erklärung. Deshalb ist es auch durchaus plausibel, dass bei sogenannten Rückführungen so häufig Kleopatra in der Ahnenreihe auftaucht. Sie hatte anscheinend eine sehr dominante Energie.

Zweitens ist die Vorstellung, dass es irgendwo diesen Pool gibt, hilfreich, wenn man Energie anzapfen möchte. Ich weiß immer, wo sich meine Ahnen aufhalten…

[zumindest Teile von ihnen, hihi]
[Lustig.]

… und kann sie zum Ritual einladen. Das habe ich besonders stark bei Beerdigungen gemerkt, von denen ich in meinem kurzen Leben schon zu viele besuchen musste. Es sieht irritierend aus für den Zuschauer, aber ich schließe meine Arme hinter dem Rücken und halte Kontakt mit den Vorfahren. Nach vorne gewandt ist die Zukunft, ich bin in der Gegenwart und hinter mir die Vergangenheit. Solche logischen Brücken brauche ich, um mir Magie plausibel zu machen, denn meine Ratio verbietet an und für sich Esoterik. Wie wahrscheinlich jeder Mensch Überwindung braucht, um so „dahergelaufene“ Wahrheiten zu akzeptieren. Aus diesem Grunde halte ich es für falsch, die Hexerei aus Büchern und nach überlieferten Rezepten zu lernen, denn sie ist für jeden Menschen anders.

Nur das Chaos ist und bleibt gleich. Es ist für uns da.

Cogitans sum.

 

[1] Und damit meine ich auch Tiere, die möglicherweise zum ersten Mal entdecken, wie praktisch es ist, Muscheln auf Steinen zu zerschlagen, dass es das Weibchen beeindruckt, eine prunkvolle Laube zu errichten oder dass man an Land ganz gut leben kann, wenn man nur will.