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- Veröffentlicht: 26. Dezember 2019
Hallo blödes Tagebuch,
ich bin jetzt drei Monate in Irland und versuche, es schön zu finden. Jeder, dem ich gesagt habe, dass ich für eine Zeitlang nach Irland arbeiten gehe, bekam gleich glasige Augen und flötete rum, wie schön, das doch wäre und wie neidisch sie sind.
Das kann ich mittlerweile nicht ganz nachvollziehen. Zugegeben, wenn man mit dem Flugzeug über dem Land schwebt, dann sehen die grünen Felder unter den Schäfchenwolken sehr nett aus. Wenn man aber erst einmal hier ist, dann ist es doch wie auf einer grossen, tristen Gefängnisinsel.
Gerade sitze ich auf dem Balkon und sehe auf die Welt hinab. Passend zum Szenario blicke ich durch Gitterstäbe hindurch auf eine hektische und laute Umgebung, überall Beton und scheinbar ziellos laufende Menschen. An jedem Laternenpfahl hängen Kameras, die einen auf Schritt und Tritt beobachten. Vor jedem Supermarkt hängen Wachen rum, bewaffnete Polizei patroulliert durch die Strassen, auf den Parkplätzen kontrollieren muskelbepackte Wächter, dass auch ja niemand parkt, wo er nicht darf und clampen Autos von alten Frauen, die gerade ihre 6 Stunden beim Gefängnisarzt sitzen und auf Behandlung hoffen.
Grosse Poller versperren den Weg wie Panzersperren und alles was noch fehlt ist Stacheldraht und Geschütztürme, aber die kann man sich problemlos dazudenken. Es gibt keine Chance, auszuweichen: Selbst die zahlreichen Parks werden kontrolliert, patroulliert und abends und feiertags zugesperrt. Es gibt keine toten Winkel und meist nicht einmal Parkbänke, wo man mal eben drauf sitzen kann. Kein Wunder, dass alle Leute hier entweder im Fitnessstudio sind, einkaufen oder dann schnell nach Hause fahren.
Versucht man, aus der Stadt zu entkommen, dann wird einem das sehr schwer gemacht. Die Busse fahren nur sehr erratisch. Ich habe zwar eine Monatskarte und könnte theoretisch jeden Bus nehmen, aber wenn ich nicht weiss, wann und ob der kommt (die werden auch gerne ganz gecancelt...), dann gehe ich bei schönem Wetter einfach zu Fuss. Das bringt mich aber noch nicht aus der Stadt hinaus. Jede Strasse in diesem verkackten Land ist von Zäunen und Mauern umsperrt, alle Wege abseits sind privat besetzt und wahrscheinlich wird man beschossen, ganz sicher aber von den frei laufenden Wachhunden angefallen.
Ich habe jetzt schlußendlich einen Feldweg gefunden, der nur selten befahren wird. Wenn man es schafft, diesen zu erreichen und dann trotz der Warnschilder einfach mal weitergeht, kann man einen Punkt erreichen, an dem es sogar still ist. [...]
Einfach mal dastehen, nichts hören, niemandem aus dem Weg gehen müssen, keinem rasenden Auto weichen.
Das fühlt sich fast an wie Freiheit. Der Weg ist aber nur 200 Meter lang und natürlich sind am Ende des Weges gleich wieder 3-5 Autos, die ausgerechnet dann da lang fahren müssen, wenn ich mal etspanne.
Die Argumentation der Menschen hier ist auch witzig: die fahren alle Auto, weil der Busverkehr zu unzuverlässig ist und die Strassen zu laut und gefährlich sind zum Radfahren und Spazieren gehen.
JA, DAS LIEGT DARAN, WEIL IHR ALLE AUTO FAHRT !!! (Sorry, ich musste so laut werden, weil da gerade wieder endlos Sirenen gehen)
Ich habe ab morgen drei Tage frei. Ich werde einen Bus nehmen und einfach mal ans Meer fahren. Vielleicht habe die das ja noch nicht so ganz eingezäunt.
Liebe Grüsse aus dem Pandemonium,
Raphael
[WAS?]
[hä?]
[ICH VERSTEH NIX!]
[wie?]
[...]