Der Markt ist gesättigt, ich möchte sagen: übersäuert, wenn es um Angebote an Lebenshilfen für die unsichere Hexe geht.

Es ist richtig und wichtig, dass es die Möglichkeit gibt, Fragen zu stellen, die jemand beantwortet, sei es in einem Internet-Forum, am Stammtisch, bei Jahresfesten, in Eso-Shops oder in Büchern.

Viele Fragen, davon bin ich überzeugt, würden aber gar nicht gestellt werden, wenn der Bedarf von außen nicht geweckt werden würde. So gibt es Anleitungen für jede nur (er-)denkbare Konfliktsituation zwischen Mensch und Magie: Wie baue ich einen Altar, mit welchen Duftkompositionen umgebe ich mich in welcher Situation, welche Handbewegungen sind unmittelbar magisch, in welcher Schrift schreibe ich im Schattenbuch und welche Medizin besänftigt meinen Energiefluss?

Wenn ich selber zu Freunden eingeladen werde, die wissen, dass ich „irgendwas mit Hexen“ mache, dann kann keine einzige Tasse türkischen Kaffees an mir vorbeigehen, ohne dass ich ihn nicht nach irgendjemandes Zukunft fragen soll.

Dass ich glücklich verheiratet bin und mit Kindern deutscher Güteklasse A gesegnet wurde, ist pures Glück, da hat die Göttin sich einfach nur gedacht: „Der ist nett, dem schenke ich mal was“. (Oder - wie ich sie kenne - eher: "Ich habe hier einen Klumpen Glück, den werfe ich mal und sehe zu, wer ihn fängt.")
Ich habe dafür weder ritualisiert, noch Litaneien auswendig gelernt, um den Gehörnten zu befrieden, noch mein Bett ausgerichtet und schon gar nicht tarotiert.

Viele Hexen übersehen, dass sie in erster Linie Menschen sind. Mit menschlichen Grenzen, aber auch den irrwitzigsten normalmenschlichen Fähigkeiten. Ich habe ein modernes Buch über Schwangerschaft gelesen, nicht: „Ye oulde secrets of ye ancient midwives“, weil ich nun mal weiß, in welchem Jahr ich lebe (meistens jedenfalls).
Hexen machen gute Marmelade. Nicht, weil sie so viel Übung im Anrühren geheimer Mixturen haben, sondern, weil sie mit Liebe zum Detail und den Zutaten arbeiten. Vieles ist Magie, aber nur wenig ist Zauberei.

Wenn man nur manches Mal öfter den Tipp geben würde, es mal selber zu versuchen, mit der Kraft des eigenen Geistes, der eigenen Intuition, der eigenen Kreativität, dann gäbe es weniger Scharlatane da draußen und erheblich mehr lebensfähige, glückliche Hexen.
Gib der Suchenden eine spezielle Räuchermischung und sie wird einmal gut räuchern können. Sage ihr, sie soll „… ma selber gucken, was zusammenpasst“, wecke ihre olfaktorische Begeisterung und um sie herum wird es immer gut riechen.

Mein liebstes Beispiel für ein vollkommen unnützes Kapitel der allgemeinen Magietheorie ist das Auralesen. Macht mal die Augen zu und versucht, die Farbe Rot zu beschreiben, ohne einen Vergleich zu bemühen (Rot ist wie…). Es geht nicht. Es ist unmöglich. Wir brauchen hin und wieder Beispiele, um im Zuhörer Verständnis zu wecken. Deswegen sagt man Rot ist wie Leidenschaft oder die Liebe, das Feuer, die Wut. Dann assoziiert das Gegenüber die Gefühle mit zB einer Farbe.

Wenn jemand einem anderen Menschen begegnet, dann nimmt unser Geist eine Unmenge an Daten auf: Größe, Gang, Haltung, Geruch, Gesichtsausdruck, Kleidung, Pflegezustand und so weiter. Es ist relativ schwer, diese in wenigen Sekunden gesammelten Daten, in genauso wenige Worte zu fassen. Da wir aber schon mit Farben ein gewisses Gefühl verbinden ist es naheliegend zwei so vage Dinge zu kombinieren und festzustellen: „Dieser Mensch strahlt rot, latent ins Blaue hinein.“
Je einfühlsamer und geübter der Beobachter ist, desto besser kann er sein Gegenüber oder auch Situationen, Menschenmengen einschätzen.
Dies ist eine von den „amazing witchpowers“, genannt: Menschenkenntnis.
Das kann man trainieren, indem man Kontakt zu anderen anthropomorphen Erscheinungen1 sucht, man braucht dafür keinen Aurakurs bei einer Hexe, die bei hellem Tag Vorhänge vor die Fenster macht und hämisch kichernd vor Liebeszaubern warnt.

Als Granny Weatherwax (T.Pratchett), einmal einer Schülerin verspricht, ihr Magie zu zeigen, da ist die Kleine schon voll gespannt und sieht zu, wie ihre Lehrerin ohne Schutz in einen wuselnden Schwarm Bienen hineingreift und die Königin herausholt. Sie wird gefragt: „Und hältst Du mich jetzt für eine Bienenzauberin?“
Das Mädchen ist enttäuscht und sagt: „Nein, Du weißt nur eine Menge über Bienen.“
Die Alte lächelt eines ihrer seltenen Male: „Genau.“

Und im Grunde ist der Mond auch nur ein großer, von der Sonne angeleuchteter Stein. Aber ein schöner.

 

1Gemeint sind lebende Menschen, aber wer sich mit Geistern oder Untoten wirklich unterhalten kann, der wird auch dabei etwas lernen, denn diese haben durchaus menschliche Attribute, immerhin entspringen sie unserer Idee.