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- Veröffentlicht: 10. Juni 2011
Lieber Raphael,
ich komme gerade aus Indonesien und war unheimlich angetan von den Menschen dort. Die leben viel natürlicher im Kontakt mit ihrer Umwelt und sind so nett. Ich überlege mir, ob ich nicht dort leben soll. [...]
Überrascht hat mich die dortige Vorstellung der Geisterwelt, die so ganz anders ist, als unsere. Die Geschichten sind ähnlich, handeln von Liebe und Intrige, von Gut und Böse, aber die Bilder sind andere, wie kommt das? [...]
Als ich vor Jahren mal in Hongkong war, nahm ich von dort ein paar dieser abgepackten Tütennudeln mit, wo man nur kochendes Wasser zuschüttet, mit dem beigepackten Pulver verrührt und dann wie eine Suppe löffelt. Billig, lecker, voller Geschmacksverstärker und scharf. Die gab es damals noch nicht in Europa und wer sie kostete, war diesem Geschmack verfallen.
Ohne mir etwas dabei zu denken, nahm ich sie mit zur Arbeit und verstaute sie in meiner Schublade. Wie es der Zufall will, bekam ein Kollege Hunger und hatte gleichzeitig keine Zeit, zur Kantine zu gehen. Wir waren beide intensiv in unser Projekt vertieft und so warf ich ihm schnell eine Packung mit den Schrimps-Chili-Nudeln zu und murmelte etwas von "nurheisseswasserdazu".
Fünf Minuten später sah ich von meiner Arbeit auf und erschrak beim Anblick meines Kollegen. Sehr blass um die Nase und mit weit geöffneten Augen schnappte er nach Luft, den Löffel in der zitternden Hand, gab er insgesamt ein Bild des puren Schrecken ab.
Ich fragte: "Sag nicht, Du hast das ganze Pulver dazu getan?"
Er nickte langsam, mit sich kämpfend, ob er das, was in seinem Mund Rumba tanzte, auch schlucken sollte.
"Bist Du wahnsinnig? Das Zeug ist von Indonesiern für Chinesen abgepackt worden! Du bist kein Chinese! Eine Prise von dem Pulver ist schon zu viel..."
Er war (zurecht) sauer auf mich. Besonders, weil er gezwungen war, alles aufzuessen, da eine sehr weibliche Kollegin schon hämisch zu grinsen begonnen hatte und Männer sind halt doch Männer, überall auf der Welt.