"Hallo, ich bin der Raphael und ich bin auch Heide."

"Hallo Raphael!" ruft der Chor.

Wir trafen uns zwecks eines Rituals zur Sommersonnenwende. Es war eine durchaus repräsentative Mischung der naturreligiösen Bevölkerung Deutschlands, also meine Familie (ich würde es Techno-Heckenhexen-Kult nennen), Wicca, ungläubige Sucher und, damit der Kreis voll wird: aufgefüllt mit Asatrus.

[Exkurs]

Als ich dereinst begann an Ritualen quer durch Deutschland und Österreich teilzunehmen, waren die Wicca-Bestandteile noch dominant: Kreis ziehen, Elemente rufen, Gott-Göttin, Anrufung persönlicher Dinge (wer will), irgendwas mit Feuer, danach Auflösung. Anschließend Essen, Trinken und Nachbesprechung.

Ich weiss nicht, ob es an mir liegt, aber seit ein paar Jahren bin ich nur noch bei Zumbeln und Bloths dabei, also Rituale der Asatrus und selbst in oben genannter bunter Mischung sind sie tonangebend, irgendwie. Ich verstehe aber nicht, wieso. Das mit den neun Welten kapier ich eh nicht, habe ich hier schon mal erwähnt. Und alle Nase lang kommt einer und ruft einen besondern Gott-Gast des Abends an, von dem ich noch nie gehört habe. Das kann der dritte uneheliche Sohn Tyrs sein, der gleichzeitig dessen Onkel ist und mit der Schwester von insertnamehere irgendwas hat...

(Einmal hat sich ein Neuling ausgerechnet zu mir gewandt, weil er nervös war und fragte, bevor er an der Reihe war, ob es stimmt, dass Loki etwas mit Feuer zu tun hat. Ich sagte Ja, aber sollte er unsicher sein, soll er Baldur nehmen.
Baldur geht immer.)

[\Exkurs]

Was ich seltsam fand, war die Stimmung bei dem diesjährigen Sonnwendfest. Freundlich, kollegial aber auf dem Niveau eines Gartenfests. Noch vor dem eigentlichen Beginn haben wir gegrillt, Bier getrunken und über den Krieg gesprochen, bis dann der Gastgeber zum Ritual rief. Wir stellten uns im Kreis um das Feuer, es war langsam dunkel geworden, die Kinder lieb aber bettschwer und schließlich stieß einer ins Horn und der nächste erhob den Hammer, um Thor anzurufen.

Viermal ging das Trinkhorn, gefüllt mit Wein, herum. Wie in einer Talkrunde wurde ein Thema gewählt, das man in seinen Trinkspruch einzubauen hatte, die da waren: freie Runde, Sonnwend, Ahnen, freie Runde.
Es war für einen gemeinsamen Abend sehr kurzweilig, interessant und streckenweise auch lustig (ich finde immer wieder, dass der Humor bei Ritualen oft zu kurz kommt).

Als alle schon nach Hause wollten, weil das Stehen mühsam wurde, haben wir einen improvisierten Spiraltanz gemacht (Memo an alle Beteiligten: das sollten wir vorher üben!) und dann das alte Lied "May the circle be open"auf Deutsch gesungen
(bitte nächstes Mal Text vorbereiten, Bohlen wäre entsetzt gewesen).

Für einen gemeinsamen Grillabend mit Freunden und ein wenig Animation war es sehr schön. Aber meine Frau und ich waren uns bei der Heimfahrt einig, dass uns etwas fehlte. Das Aufregende und Spirituelle, das Erlebnis, wie Energie fließt und ganz ohne LSD die Wahrnehmung steigt, bis zur Gänsehaut und Tränen danach, das war früher besser.

Aber früher war ja auch mehr Lametta ...

Vielleicht liegt es aber einfach nur an meinen Peers, den Leuten, mit denen ich abhänge. Alkohol hat früher auch mehr Spaß gemacht, als man die Trunkenheit spät nachts noch nutzte, um sich gegenseitige Freundschaft zu schwören, über Persönliches zu sprechen, was man nüchtern nie machen würde oder über völligen Blödsinn bis zum Bauchkrampf gemeinsam zu lachen.
Heute werde ich mit kritischem Blick gefragt: "Bist Du sicher, dass Du noch einen Drink verträgst?" und auf ein etwaiges "Hellyeah!" meinerseits wird mit den Augen gerollt und hinter meinem Rücken geredet.
Der Spaß ist dahin. Dann kann ich auch gleich nüchtern bleiben.

[schade, ER wird dich vermissen]
[Der hat ja auch keine Zeit mehr, mit Syrien und so ...]
[ich vertrag leider nix]
[Kein Problem, lebe ich halt weiter, ohne mir meine Mitmenschen sympatisch zu saufen, die werden schon sehen, was sie davon haben ... püh!]