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- Veröffentlicht: 07. Oktober 2009
Manchmal stellt sich die Frage, ob man als Hexe mit seiner Kunst Geld verdienen darf. In den meisten Fällen verneine ich dies vehement. Es gibt aber gute Beispiele für Ausnahmen.
Ich habe einmal eine Zeitlang beim Zirkus gearbeitet, als Hilfskraft für alles.
Dort gastierte auch eine Hexe, die auf den ersten Blick sehr seltsam erschien: unfreundlich, ungepflegt und kurz angebunden. Man begegnete ihr selten, allenfalls beim gemeinsamen Essen. Es war eine Zeit und ein Land, wo Aberglaube die Menschen scharenweise in das Wahrsagerzelt der Alten trieb. Sie standen in den Pausen regelrecht Schlange davor.
Nach der letzten Vorstellung ergab sich abends am Feuer einmal eine Gelegenheit für ein Gespräch, während ihr selbstgebrauter Schnaps die Runde machte.
„Was für Fragen stellen die Leute eigentlich?“, fragte ich sie.
„Ist Dir aufgefallen, dass fast nur schwangere Frauen vor dem Zelt anstehen?“
„Ja, wieso?“
„Sie wollen wissen, ob das Kind ein Junge wird.“
„Wofür ist das wichtig?“
Sie spuckte irgendetwas Grünes ins Feuer. Es schien, als wollte sie mich weiter ignorieren, dann sagte sie aber:
„Mädchen werden meistens abgetrieben.“
„Das ist doch schrecklich!“
„Die Gesellschaft verlangt es so. Wer ein Mädchen aufzieht, muss viel Geld in sie investieren, während die Buben bald arbeiten gehen können und bei der Hochzeit eine Mitgift von der Braut bekommen. Eine Familie mit vielen Mädchen ist zur Armut verdammt.“
„Traurig. Und was erzählst Du ihnen dann?“
„Dass sie einen Buben bekommen.“
„Du lügst sie an?“
„Klar.“
„Hast du nicht Angst, dass sie erbost wiederkommen, wenn sich etwas anderes herausstellt?“
Sie lachte schrill auf.
„Dummer Junge! Hast Du denn nicht gesehen, dass ich mir jeden Namen in meinem Buch notiere?“
„Nein, wieso machst Du das?“
„Dahinter schreibe ich ‚Mädchen‘.“
Sie glotzte mich mit abschätzenden hellen Augen an und wartete, bis ich begriff.
Es dauerte eine Weile.
Habt ihr’s?