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- Veröffentlicht: 27. Oktober 2013
Eigentlich wollte ich nur Passfotos machen lassen. Zu diesem Behufe betrat ich das Fotostudio, das gleich neben unserer Stadtverwaltung angesiedelt war.
Der ältere Fotograf war eben dabei, einer Dame vor mir die Fotos zurecht zu schneiden, deshalb hatte ich Zeit, mich umzusehen. Neben seinem Computerarbeitsplatz lag ein aufgeschlagenes Buch. Ein dickes Buch mit vielen Lesezeichen. (Oh-oh)
In einem sehr prominent platzierten Flyerständer erkannte ich, nach flüchtigem Blick, gehäuft die Worte Bibel und Jesus. (Ring-ring)
Aber nirgendwo im ganzen Raum sah ich ein Kreuz. (Huuuup)
Ich hatte es also sehr wahrscheinlich mit einer besonderen Gattung der Spezies Christ zu tun.
Und während er noch die Fotos eintütete und den Lohn kassierte, konzentrierte ich mich darauf, zu erkennen, welche Stelle in dem Buch er gerade gelesen hatte. Solche Details interessieren mich. Schadet ja niemandem ...
Er befand sich gerade beim Deuteronomium, einem der Bücher Moses', das so Klassiker der Weltliteratur wie Levitikus enthält, der Verhaltensregeln aufstellt, die aus diversen Gründen seit tausenden Jahren niemals einer Neubegutachtung bei Neuauflage unterworfen waren. Steinigung und Greuel sind aktueller denn ja.
Wenn ich es richtig verstehe, dann geht es im hier studierten Deuteronomium darum, dass Gott der Chef, der einzige Chef, ist und er totalen Gehorsam verlangt. Nun ... wer darauf steht ...
Er machte von mir dann eines dieser biometrischen Verbrecherfotos und ich zahlte 5 Euro pro Bild, etwas das in modernen Zeiten der Laserdrucker auch für 2 Cent erledigt hätte. Aber wo kämen wir hin, wenn wir die deutsche Dienstleistungsindustrie nicht ein wenig Kohle in den Arsch blasend fördern würden.
Um mich von dem Gedanken abzulenken, wie ich diese Ausgabe gegenüber meiner das Familienvermögen verwaltenden Frau rechtfertigen werde, plauderten wir über den mir am wenigsten unangenehmen Flyer, der für einen Secondhand Laden für Kinder warb.
Ich weiss nicht genau wie, aber in kürzester Zeit nickte ich mechanisch mit dem Kopf während ich mir erklären ließ, dass die Kirche die wahren Christen von der Bibel wegführe und, um es kurz zu machen, mich erlangten folgende Perlen der Erkenntnis:
- es gibt offensichtlich manche Pfarreien, die schamanistische Zeremonien machen, um dem Kirchenvolk zu gefallen
- das biblische Polen ist anscheinend offen, seit er in der Bild-Zeitung gelesen hat, dass eine evangelische Priesterin mit ihrer Lebensgefährtin ein Kind adoptiert hat
- als er im letzten Winter auf dem Glatteis ausrutschte, hat er den Himmel gesehen und es war wunderschön
- einem Vortrag zu Folge ist er überzeugt, dass es die Hölle geben muss, weil er da von einem fast toten Russen gehört hat, dem fünf lebenswichtige Organe entnommen worden waren und der trotzdem weitergelebt hat und ohne Essen und Trinken zu müssen von der Hölle erzählt hat, die er während seinem kurzen Tod besucht hatte
- solange die Schulen so etwas wie die Evolution ernsthaft als glaubwürdig verkaufen, ist eh keine Hoffnung, denn alles was die Menschen brauchen sind zwei Dinge:
- Du sollst den Gott Deinen Herrn anerkennen und den Nächsten lieben, wie Dich selbst
Und ich stand da mit leicht dümmlich geöffnetem Mund und machte den Wackeldackel, bis ich unterbrochen wurde mit einer schockierenden (Gretchen-)Frage:
"Und wie ist Ihre ... ähm ... Ausrichtung?"
Er dachte wohl, dass jemand, der so geduldig den ganzen Quatsch erträgt, ohne aus den Ohren zu bluten, auch eine gefällige Meinung dazu haben müsste.
In meinem Kopf hielten die Gedanken eine UNO-Vollversammlung ab und diskutierten über russiche Zombies, die aus der Hölle kamen, Fossilienattrappen tief im ewigen Eis vergruben und unsere ehemals gottesfürchtigen Frauen zu Lesben konvertieren, um sie davon abzuhalten, seinen Himmel mit ihrem Schweinskram vollzumüllen und ich antwortete nach reiflicher Überlegung ... :
"Aber wenn man sich selber hasst, ist es dann okay, den anderen auch zu hassen?"
Er nahm den Spruch mit Humor und meinte zurecht, dass ein guter Christ das Leben und sich selbst zu lieben habe, das ginge ja gar nicht anders, wenn man doch an den lieben Gott glaube. Punkt für ihn.
Ich sagte: "Ich glaube nicht an eine von der Welt getrennten Göttlichkeit, sondern an das, was ich draussen in der Natur erlebe. Gott ist für mich präsent in einem schönen Baum, der von Wind und Sonne geküsst wird und alles, was ich angreifen und erleben kann, sei das ein Tag am Meer, in den Bergen oder eine Unterhaltung mit den Mitmenschen, die mich froh macht." Er nickte, ich glich aus zum Unentschieden.
Wir verabschiedeten uns schnell, denn es kam ein weiterer Kunde herein, der nur noch mitbekam, dass wir uns versicherten, dass die Schnittmengen unserer Überzeugungen gut sind. Also dass Menschen netter zueinander sein sollten, dann gäbe es keine Kriege oder Finanzkrisen.
Damit kann ich leben.