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- Veröffentlicht: 21. November 2012
Die Naturreligiösität, wie sie momentan in Deutschland stattfindet, ist nicht nur von Hexen geprägt, sondern auch von den Anhängern der alten germanischen/nordischen Götter. Obwohl zahlenmäßig weniger vertreten als andere Heiden, sind sie meistens weit besser organisiert, aufgeschlossener und unternehmen mehr in ihrem gut ausgebauten Netzwerk von Things, Sippen, Vereinen etc. Der Pate meines Sohnes ist ein solcher Asatru und hat keine Hemmungen, seine religiösen Feelings mit seinem Patenkind zu teilen.
Das hat manchmal lustige Konsequenzen, wenn der Knirps sich im Religionsunterricht seiner katholischen Schule beteiligt. Interessanterweise mischt er die germanische Mythologie mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. Gerade meine Lieblingsgeschichte aus dem Schöpfungsmythos lässt er aus und wenn die Lehrerin im Unterricht erzählt, dass Gott die Welt in sieben Tagen gemacht hat, verweist er augenrollend auf den Urknall anstatt von der Kuh zu berichten, die den Menschen aus dem Eis geleckt hat.
Andererseits ist es echt lustig, dass er mit dem Konzept des gekreuzigten Zimmermanns einfach echt gar nichts anfangen kann, weil wir ihm das nie als wissenswert vermittelt haben. Er weiss, dass Jesus von seinen eigenen Leuten zu Tode gefoltert wurde, immer nett zu seinen Frauen war, brav die Bauchmuskeln trainierte und einen Jugendfreund namens Biff hatte. Und deshalb fehlt ihm die Ehrfurcht vor der Göttlichkeit des toten Predigers. So entstehen dann auch Dialoge mit der Lehrerin, von denen er gar nicht weiss, wieso die so witzig sind, wenn er sie uns am Abendtisch erzählt:
Sohn: "Die Lehrerin hat gesagt, dass Jesus der Sohn von Gott ist, den er auf die Erde geschickt hat. Stimmt das?"
Vater: "Ich glaube nicht. Das ist eine Geschichte. Wäre ja auch grausam, wenn er dann nichts getan hätte, als sein Sohn ermordet wurde. Wieso?"
Sohn: "Sie hat gesagt, dass er seinen Sohn getötet hat, damit auf der Erde Frieden kommt. Und ich habe gesagt, dass unser Gott ein Auge gegeben hat, damit er schlau wird."
Mutter und Vater: "Echt!?! Was hat sie gesagt?"
Sohn: "Nichts."
Abseits dessen halte ich wenig davon, sich an einen alten Pantheon zu klammern. Auch eine Religion muss mit der Zeit gehen. Sich die Vorhaut abzuschneiden ist sinnvoll, solange man in der Wüste wohnt, ein Zölibat macht Sinn, wenn man verhindern will, dass Kirchenbesitz vererbt wird. Wenn sich aber die Zeiten ändern, dann muss die Religion mitziehen, ansonsten wird sie zum starren Fossil.
Sobald man weiss, dass Blitze nicht von einem Gott geschleudert werden, sondern elektrische Entladungen sind, wird es absurd, daran festzuhalten.
Sir Pratchett hat auch hier ein schönes Beispiel, als er die Reiter der Apokalypse (Tod, Pestilenz, Hunger und Krieg) durch zeitgemäße Ängste ersetzt: Die vier Biker der Apokalypse Tod, Hunger und Krieg und ... Umweltverschmutzung (weil Pestilenz keinen Bock mehr hatte und irgendwas murmelte von wegen Scheisspenizillin, oder so...).
Es mag früher top notch gewesen sein, die Welt und das Unbekannte in Archetypen zu pressen, damit man es sich und anderen erklären kann, aber das ist heute allenfalls Folklore wie das Jodeln, das auch keiner Verständigung zwischen den Bergen mehr dient.
Ich stand unlängst mit ein paar Asatruar im Kreis um ein Bier herum und wir wunderten uns gemeinsam (ich schaffe es irgendwie immer das Thema in die Richtung zu lenken), wieso es so wenige (keine) einflussreichen Heiden gibt, die sich trauen, öffentlich aufzutreten und die Naturreligion als ernstzunehmende Alternative zu den Monotheisten zu etablieren. Die Antwort fällt nach einigem Nachdenken jetzt leicht: Weil wir selber Angst haben, alles sei doch nur Fantasy, weil uns bewusst ist, dass es keine drei übereinandergestapelten Welten gibt. Und wir können das nicht gut verkaufen, wenn wir selbst im Zweifel sind, ob die alten Geschichten vielleicht nicht doch nur wahnsinnig komplexe und unzeitgemäße Metaphern sind.
Die anderen Religionen haben einen Ausweg gewählt: Sie haben es bei Androhung peinlichster Strafen verboten, darüber nachzudenken oder gar laut zu zweifeln.
Wer es doch tut wird verstoßen und verflucht.
Das ist zwar eine Möglichkeit, aber schön isses nicht.