In unserer Stadt gibt es ein bemerkenswertes Phänomen. Ein selten zu beobachtendes obendrein. Wie Reinhard Mey dereinst sang: „Das oberste Menschenverstandskommando gibt bekannt: Vernunft breitet sich aus über die Bundesrepublik Deutschland!“

Solidarität finde ich gut. Wie ich immer sage: Wenn sich alle Menschen guten Willens zusammentäten, hätten die wenigen Fieslinge keine Chance mehr. Uns hindert ja nur die Angst daran, es zu tun. In Deutschland ist es nicht die Angst um körperliche Unversehrtheit, sondern die Furcht, Eigentum zu verlieren.
Die Wirtschaft hat uns dermaßen mit Krediten für Heimkinos, Smartphones und Riesterrenten sediert, dass wir uns alles gefallen lassen, um bloß nichts davon zu verlieren.
Beschweren tun sich immer nur diejenigen, die eh nichts haben, also vor allem junge Menschen ohne Arbeit und Familie, und die werden nicht ernst genommen. (Das hat nur ein einziges Mal, im Fall Zwentendorf, funktioniert.)

Aber ein echtes Wir-halten-jetzt-mal-alle-zusammen ist gerade religionsübergreifend die Ausnahme, weil die jeweiligen Götter (obwohl es oft ein und dieselbe Persönlichkeit ist) von ihren Jüngern gegenseitigen Boykott erwarten.

Um so schöner ist es, wenn es dann doch mal klappt. Bei uns zum Beispiel haben die Christen zur Zeit ein Problem mit der Finanzierung ihrer sakralen Immobilien, deswegen wird ein Drittel der Kirchen demnächst ersatzlos geschlossen. Weil da aber Kindergärten und Altenpflege mit gekappt werden (warum auch immer ...), gefällt das der Bevölkerung nicht.
Dass aus der heiligen Halle ein Möbelhaus gemacht wird, würde keinem auffallen, weil eh keiner zur Messe geht, aber bei Streichung von streikfreien Billig-KiGas und outgesourceter Sterbebetreuung versteht der Mob keinen Spaß mehr. Und weil das Murren so laut ist, dass es sogar der Muezzin auf seinem Turm vernommen hat, kam es zu einer beeindruckenden Demonstration der Solidarität:

Damit hatten die aufgebrachten Katholiken im Duisburger Norden nicht gerechnet: "Ihr habt uns beim Bau unserer Moschee geholfen, jetzt helfen wir euch beim Kampf um eure Kirchen!" So versprachen es Ende vergangener Woche muslimische Schüler und Eltern aus der Nachbarschaft, dann gingen sie mit den Christen bei eisigem Wind und Regen demonstrieren. (Zum Artikel)

Eigentlich müsste ich mich fragen, wieso ich bei so etwas immer eine Gänsehaut bekomme vor lauter Glücksgefühl, denn so ein Verhalten sollte normal sein.
Wenn es aber alltäglich geschähe, dann wäre es ja nichts besonderes und ich würde mich vor einem leeren Blatt langweilen.

Man sieht wieder, dass der Mensch nur etwas zu schätzen weiss, was er nicht ständig vor der Nase hat oder sich erst erkämpfen muss. Ohne Finsternis kein Licht, ohne Schmerz keine Freude.

Und über die gemeinsame Anstrengung zweier Gruppen, die langsam merken, dass sie entgegen der Hetze ihrer Priester doch miteinander leben wollen und können, freue ich mich.