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- Veröffentlicht: 16. Juni 2014
Ich habe an anderer Stelle schon von einem Erlebnis in Duisburg Marxloh berichtet, aber kann nicht umhin weitere Perlen meiner reichhaltigen Erlebnisse dort zu erzählen.
Sollte jemand das wahre Abenteuer suchen, dann wäre man in den fremdländischen Stadtteilen Duisburgs richtig. Ich verbringe dort jede Woche zwei Stunden, während ich darauf warte, dass mein Sohn mit dem Sport fertig ist. Dann gehe ich die Einkaufsstrasse einmal rauf und runter und suche diesen Kitzel, den man sonst nur findet, wenn man irgendwo sehr exotisch ist. Anders als im Urlaub in zB Istanbul, Kairo oder Islamabad ist die Fremde aber unverfälscht, weil niemand hier vom Tourismus leben möchte. Man kann also immer mit ehrlichen Reaktionen rechnen.
Erste Erkenntnis vorab: Deutsch ist manchmal Fremdsprache und nicht immer hilfreich, wie wir gleich sehen werden. Ich beginne meine Tour am Beginn der Strasse, an einem Laden für Heiratsmode, der bis auf bestückte Schaufenster vollkommen leer ist. Ab da geht es kilometerweise los und zwar immer in der Reihenfolge: Kiosk > Spielhalle > irgendwas mit Essen > Kiosk > Spielhalle, etc.
Mein erster Eindruck ist schon mal ein liberaler: Mir kommen drei strunzbesoffene Teenagerinnen entgegen, die mich in Stakkato-Arabisch angraben, was ich lächelnd zur Kenntnis nehme, mich aber schmutzig und unsicher fühle, weil ich nicht genau weiss, ob das mit dem "süß" nicht doch eher eine Verarsche ist. Erkenntnis Zwo: So fühlen sich also Frauen wenn sie mit Laszivität konfrontiert werden. Das hatte ich mir schöner vorgestellt
Ich rette mich in einen Laden mit süßen Backwaren. Die einsame Kopftuchfrau schweigt mich an, während ich die deutschen Beschreibungen suche, denn ich verstehe nix vom riesigen Menü über der Theke. "Egal" denke ich, "bestellst Du von allem etwas".
Ich räuspere mich und versuche in schönstem Deutsch: "Einmal, eine Mischung, bitte?"
Sie reagiert nicht und sieht mich stumm an. Ich versuche weiter: "Darf ich bitte eine große Packung mit allem, so irgendwie gemischt haben?" und sage nicht dazu: "Ich würde auch mit Geld dafür bezahlen?" Sie sieht sich um und brüllt über meine Schulter, worauf ein Mann mit anatolischem Schnurrbart hereinkommt und zurückbrüllt. Er deutet auf die Süsswaren, macht eine schwungvolle Handbewegung, dreht sich zu mir um und meint freundlich: "Kommt gleich."
Und ohne dass ich ihn dazu aufgefordert hätte beginnt er mir zu erzählen, wie anstrengend das Leben hier sei, denn: "Nur noch Ausländer hier. Guck mal:", er deutet auf die Strasse vor dem Laden, "Albaner. Die sollte man alle abholen. Klauen und Prügeln." Er seufzt und läßt mir keine Zeit zu sagen, dass das doch sooo nicht stimme, denn er hat echt viel auf dem Platz rechts vom Herzen. Irgendwann darf ich dann aber doch gehen, mit einem Beutel Süßkram und einer Heidenangst vor den Albanern da draussen.
Ich beschließe, mich dorthin zu wenden, wo es weh tut, der Ort an dem sich die Geister scheiden, wo der ethische Kampf zwischen Gut und Böse am heftigsten tobt: an ein Kiosk. Der Spießrutenlauf durch die Meute vor dem Fensterchen ist schon interessant genug, wenn man blond, langhaarig und unsicher ist. Todesmutig bestelle ich ein Bier. Nicht, um mich zu betrinken, sondern um ein Statement abzugeben, dass dies ein freies Land sei und die Sharia weit weg. So laut ich kann öffne ich es gleich vor Ort und komme mir vor wie der Bodybuilder aus der Cola-Light Werbung, den die Frauen anschmachten. Nur halt eben in schwul.
Egal. Drei Häuser weiter am nächstem Kiosk kann ich die leere Flasche entsorgen, ich will nicht auf das türkische Strassenfest gehen, mit Alkohol in der Hand, denn ich vertrage nur so viel Verachtung pro Stunde.
Die Veranstalter der Benefizveranstaltung nutzen einen kleinen Park um ihn rammelvoll zu stellen mit Zelt neben Zelt, wo unglaubliche Mengen an Essen verkauft werden. Wem die Gewinne aus dem Event zu Gute kommen soll, weiss ich nicht, weil ich nichts verstehe. Niemand spricht oder schreibt hier Deutsch.
Großfamilien, von Ahnen bis Babies, drängen sich auf engstem Raum und geben mir das Gefühl, einer Armenspeisung nach einer Katastrophe beizuwohnen. Ein einziges Wort kenne ich aber: Döner. Das ist mein Ankerpunkt. Trotzdem zögere ich. Wo ich schon einmal da bin, wäre ich doch doof, nicht auch etwas zu kosten, das ich nicht an jeder Ecke bekomme. Deshalb stelle ich mich in eine Reihe vor einem Großgrill, an dem vier gestandene Männer gewaltige Spieße mit Fleisch dran drehen. Über der Preisliste (4€) steht: Kebab. Das kennt man eigentlich auch, aber es gab vier verschiedene Kebabs, mit wahrscheinlich viermal verschiedenem Zeugs. Als ich dran bin, werde ich freundlich angebrüllt. Ich verstehe kein Wort und gucke hilflos auf die Tafel, in der Hoffnung, dass mich die Erkenntnis durch Erleuchtung erlangt. Ich deute auf die Auswahl und frage: "Welches Tier?"
Und ... ungelogen, echt wahr ... die vier Männer ziehen sich zur Beratung an den Grill zurück. Sie schnattern wild gestikulierend, hin und wieder guckt einer seltsam zu mir rüber. Ich nutze die Zeit, um einen der Jugendlichen in der länger werdenden Schlange hinter mir zu fragen: "Wo ist denn der Unterschied, zwischen den Sorten?". Er zuckt nur mit den Schultern und guckt weiter Händi.
Unglaublich, aber immer noch wahr: der Koch kommt zurück und brüllt mich wieder an, diesmal etwas genervt. Ich lasse den erfahrenen Globetrotter raushängen und deute auf den Spieß mit dunklem Fleisch:
Ich: "Muh?"
Er: "Määh!"
Ich deute zum nächsten: "Gackack?"
Er nickt verstehend und geht die Reihe durch: "Määh, Gackack, Muh, Määh-scharf."
Ich: "Einmal Muh bitte."
Ausser mir scheint das niemand seltsam zu finden. Ich bekomme mein Essen und werde mit einer Handbewegung verscheucht.
Ich schlendere so die Strasse entlang in Richtung der Sportstätte meines Sohnes, kauend und summe währenddessen ein Lied:
"Oohooh, I'm an alien, I'm a legal alien, I'm a Germanman in Duisburg ..."