Ein gesunder Mensch hat viele Wünsche, ein kranker nur einen. So heißt es.

Seit ich Kinder habe, ist mir mein eigenes Wohl nicht so wichtig, noch dazu, wo der Lebenserhalt der Familie nicht von meiner Arbeitskraft abhängig ist, wegen all der Versicherungen. Deshalb sind mir meine Kinder wichtiger, als meine Gesundheit.

Während meiner Rekonvaleszenz hatte ich viel Zeit, mich über das Fernsehprogramm zu ärgern. Ich hege den Verdacht, dass es nur deshalb so schlecht ist, um die eigentlich arbeitsfähigen Menschen von der Couch hin zur Arbeit zu treiben, weil man das einfach nicht aushalten möchte. Das ist aber ein Rohrkrepierer, weil es heutzutage mit DVDs, Internet und Alkohol viele Möglichkeiten gibt, die mit bemerkenswerter Misanthropie und Zerstörungswut zusammengestellten Programme, zu umgehen bzw. zu ertragen.

Ein schöner Bericht auf Arte hat mich aber gefesselt, nämlich eine Doku über ein abgelegenes Dorf im Himalaya. Dort sind die Sommer kurz und die Winter lang und hart. Solche Menschen haben ganz andere Präferenzen als wir und keine Zeit für Schnickschnack. Wenn man erst mal eine Stunde in die Denkweisen eintaucht, dann verliert man das Interesse an den Kleinigkeiten, die uns vorantreiben oder die uns ärgern.

Näher an der Natur als diese Menschen kann man nicht sein. All ihr Streben dreht sich nur darum, Kinder aufziehen und Nahrung heranzuschaffen. Dabei haben sie keine Feinde, außer der Kälte. Überleben tun nur die Hälfte der Babys und die, die es schaffen, werden recht alt. Ich brauchte genau so ein vereinfachtes Bild, um das ganze Heidengeplärr um mich herum kurz auszublenden.

Was einem im täglichen Verkehr alles begegnet an Dingen, die man unbedingt machen sollte, wollte oder könnte, um dranzubleiben am rasenden Puls der Zeit, ist doch nur künstlich generiert. Die Artikel auf Witchvox (nach wie vor das weltweit einzige funktionierende Forum für Hexen aller Art) überschlagen sich gerade in diesen Tagen wieder mit hektischen Fragen, wer wir sind, wo wir hinwollen und wieso das alles nicht funktioniert.

Konfrontiere eine Bäuerin im Himalaya, die gerade einen Sack Yak-Dung schultert, mit dem Problem, dass unsere heidnischen Communities mit der Öffentlichkeitsarbeit nicht zu Potte kommen, oder wir nicht wissen, welchen Namen wir der gemeinsamen Göttin geben sollen, dann wird sie kichern, wie ein kleines Mädchen.

Manchmal wünschte ich, wir könnten alles niederreißen und von vorne anfangen. In Wahrheit würden wir nichts vermissen. Es ist doch eh schon alles im Argen. Bildungs-, Gesundheits-, Rentensystem, der Markt, unsere Ethik Menschen und der Natur gegenüber, alles kann nicht viel schlimmer werden. Wir sind momentan auf einem Höhepunkt des menschlichen Tiefgangs angelangt. Wir merken es nur nicht, weil die Medien theoretische Harmonie und praktische Verblödung propagieren, die Politiker sich nicht einmal mehr hinter Phrasen verstecken, sondern schlicht gar nichts mehr tun. Und wir nehmen alles lethargisch, wie gelähmt, hin.

Wenn es für Hexen wirklich bedeutet, dass ihre Nähe zur Natur sich in einer spirituellen Verbindung zu dieser äußert, dann verstehe ich nicht, wieso sich so viele (nicht alle, ich weiß...) von diesem Pfad abwenden.

Eine gute Hexe zu sein, bedeutet nicht, dass man ein Buch der Schatten führt und auswendig lernt, sondern die Pflanzen seiner Umgebung kennt.

Es bedeutet nicht, dass man Karten legen kann, sondern mit anderen Wesen mitfühlt.

Es bedeutet nicht, dass man bei Treffen seine neuesten Abzeichen und Ränge vergleicht, sondern einen guten Eintopf für alle kochen kann.

Es bedeutet nicht, Freiheit zu genießen, sondern Verpflichtungen an sich selbst und der Gesellschaft zu übernehmen. Fragt nicht, was die Göttin für euch tun kann, sondern, was ihr für die Göttin tun könnt.

Heilen und hegen, das ist unsere Kunst. Und das kann kaum einer mehr, jedenfalls nicht ohne entsprechend beglaubigten Reiki-Rang.

Wenn man sein Leben reduziert, auf das, was wirklich wichtig ist, ausblendend all das, was nur wichtig erscheint, dann wäre die heidnische Gemeinschaft auch endlich eine ebensolche.

Jetzt weiß ich wohl, dass ich nicht der erste bin, der das in den letzten Jahrtausenden aufführt und auch andere Religionen fordern Vergleichbares, aber gerade für eine Naturreligion drängt es sich auf. Es ist wohl die über-verromantisierte Sicht auf Mutter Erde, die daran schuld ist, weil alle Nachwuchshexen sie wegen dem Vorsatz „Mutter“ mit ihrer Mami vergleichen, die einen abends zudeckt, das Essen kocht und verzeiht, wenn man sie pubertierenderweise anschreit.

Aber die Erde ist in Wahrheit wie eine Schildkrötenmutter, die das Ei am Strand verbuddelt und schwimmen geht. Wir müssen uns heftig anstrengen, um anständig groß zu werden. Und das macht von den Fantasy-Hexen mit Greenpeace-Dauerauftrag, die heute maßgeblich den Ton angeben, keine.

[worauf willst du hinaus?]
[Dass sich in den Köpfen der Stammtisch-Heiden ein Gedanke festsetzt.]
[ich ahne arges...]
[Nämlich: „Was kann ich dazu beitragen?“]
[wozu?]
[Das weiß ich noch nicht genau.]
[das macht deinen sermon doch ziemlich irrelevant]
[Liest eh keiner. Zu wenig human interest.]
[statt mich mit dir zu unterhalten sollte ich mich wirklich wichtigen dingen zuwenden]
[Das war jetzt gemein.]