„Wieso brauchen die keine Waffen, Papa?“
„Weil die mit Worten kämpfen.“
„Wie geht das?“
„Man kann Kriege auch ohne Gewalt gewinnen.“
„Ohne, dass sich jemand weh tut?“
„Na klar. Man muss nur schlau sein.“
„Ich bin schlau.“
„So schlau, wie Han Wei?“
„Wer ist das?“
„Das war der erfolgreichste und beliebteste Feldherr aller Zeiten. Soll ich Dir die Geschichte erzählen?“
„Ja!“

„Es ist ein weit verbreitetes Missverständnis, dass Kriege durch den Angreifer begonnen werden. Denn eigentlich hat der Angreifer selber kein Interesse an Kampfhandlungen. Er folgt lediglich seinem tierischen Trieb, etwas haben zu wollen, das jemand anderer nicht hergeben möchte. Erst wenn sich jemand wehrt, beginnt der Krieg. Würde das Opfer gleich einlenken und dem Aggressor alles geben, was der will, dann würde der Frieden nicht einmal eine juristische Sekunde lang gestört. Zu sagen, das sei unfair, ist albern, denn wir akzeptieren ja auch heute, dass wir betrogen und beraubt werden, ohne dass wir uns unwohl fühlen. Ob die Uniform in Camouflage oder Nadelstreif gefärbt ist, spielt dann doch auch keine Rolle mehr.

Der erste Mensch, der das bis zur Perfektion verstanden hat, war Han Wei. Er begann als Bürgermeister eines Dorfes in der Provinz Henan. Wir schrieben das Jahr 600 nach Errichtung der zwölf Tafeln in Rom. China war geteilt in viele kleine Reiche mit Stammesfürsten, ähnlich wie heute in Afghanistan. Wann immer sie konnten, überfielen sie sich gegenseitig. Gewalt war allgegenwärtig, aber das Volk hatte keine Lust mehr zu kämpfen. Han Wei dachte nach, fragte im Tempel einen weisen Priester und begann seinen Feldzug. Es sollte der erstaunlichste und, gemessen an der kurzen Zeit und den Mitteln, erfolgreichste „Krieg“ aller Zeiten sein.

Wei suchte aus seinem Dorf die stärksten Jungs aus, rüstete sie und erklärte dem Nachbardorf den Krieg. Die wussten zuerst nicht, wie mit ihnen geschah. Bisher hatten sie immer in Frieden mit ihren unmittelbaren Nachbarn gelebt, waren verwandt und verschwägert. Kurz – es erschien ihnen als keine gute Idee.

Der kleine Haufen Soldaten stand sich auf dem Marktplatz gegenüber, es regnete in Strömen, der Boden war aufgeweicht, die Kleider nass, jeder wollte am liebsten nach Hause. Sollte es zu einem Kampf kommen, dann würde er nicht mit großer Leidenschaft geführt werden, soviel war sicher.

Han Wei ergab sich bedingungslos.

Er akzeptierte die Forderungen des „Siegers“, sein altes Dorf wurde im neuen Verband eingegliedert, er erbat sich lediglich, der Heerführer des neuen, vergrößerten Kriegshaufens zu werden. Das wurde gerne genehmigt. Sowohl die Zivilbevölkerung, als auch die Soldaten, fanden einen Feldherren, der so schnell und ohne einen Tropfen Blut zu vergießen, Schlachten entscheiden konnte, genau richtig.

Han Wei ging mit der neuen Armee in das nächste Dorf, dann in die nächste Stadt, die nächste Provinz, das nächste Königreich. Seine Methode war mit der Zeit schon bekannt und erstaunlich viele Fürsten standen bei ihm Schlange und baten darum, dass er sie angreifen möge.

So entstand ein riesiges Reich, ohne dass auch nur einmal die Waffen sprechen mussten. Es hatte sich für alle Beteiligten gelohnt, einfach einmal nachzugeben, um danach zusammen stärker zu sein.“

„Das ist eine schöne Geschichte.“
„Und hoffentlich hast Du etwas daraus gelernt.“
„Ja, wenn ich groß bin, werde ich General und greife meine Nachbarn an.“
„Das war nicht ganz … ach ich erkläre es Dir ein anderes Mal. Und jetzt ab ins Bett.“

[hat han wei lange regiert?]
[Ach nein. Er wurde sehr bald von Eunuchen ermordet. Und das Reich versank wieder im Chaos.]
[warum erzählst du das nicht dazu?]
[Weil es so traurig ist. Obwohl es als gutes Beispiel dafür dient, dass auch Männer ohne Cojones zu fieser Gewalt neigen. Verdammte Klischees.]