Es war einmal, vor gar nicht allzu langer Zeit, da grenzte Österreich noch an ein armes Land an, das sich Sowjetunion nannte. Dieses Reich zerfiel und hinterließ einen Scherbenhaufen, der, direkt vor der österreichischen Tür gelegen, für Unbehagen in der süddeutschen Provinz sorgte. Es entsprach dem lokalen Geist, dass es Armut zwar geben muss auf der Welt, aber wieso denn gleich nebenan? Das berührte uns unangenehm. So wurde in vielerlei Dialekt besorgt an urigen Bärten gezupft und sinniert, bis man eine Lösung fand.

Es entstand die Aktion „Nachbar in Not“.

Immer zu Weihnachten und auch schon mal zwischendurch, wenn man gerade wieder ein paar traurige Bilder durch den, seit einigen Jahren unter umgekehrtem Vorzeichen verschlossenen, eisernen Vorhang geschmuggelt hatte, dann wurde der gemeine Österreicher aufgefordert, zu spenden für den notleidenden Nachbarn. Viele gute Aktionen wurden damit organisiert, vielen Menschen wurde ein besseres Leben ermöglicht.

Dieses Geschehen hielt sich lange und jedes Jahr war man erstaunt, wieviel Geld die Österreicher bereit waren, zu spenden. Es ähnelte ein bisschen den Tributzahlungen von Rom an die Landsknechte Karls V., war aber nachhaltiger von Erfolg gekrönt.

Mittlerweile wurden die Spenden abgelöst durch reguläre Subventionen der EU. Da gibt es keine Gala und keine rührenden Dankesschreiben mehr, das hat sich verbürokratisiert. Ist auch in Ordnung so.

Warum es in Österreich lange Zeit viel bessere Kabarettisten und Komiker gab, als in Deutschland, das hat bestimmt etwas mit dem Spaßverbot in Deutschland nach dem Krieg zu tun, denke ich. Auf jeden Fall entstand jenseits der Alpen damals eine wunderbare Gegenaktion, die da lautete: „Wir selber in Not.“

Man zeigte Bilder und Geschichten von eigenen Landsleuten, die auch unter Nahrungs- und Obdachlosigkeit leiden, Randfiguren, wie Rentner, Arbeitslose und Bauern, denen es schwer gemacht wurde, am allgemeinen Wohlstand teilzuhaben. Links liegen gelassen, ohne Lobby und eher unangenehm, weil durch keine Grenzkontrolle daran zu hindern, in unsere eigenen Schaufenster zu blicken und das blinkende Gold neidisch zu bewundern.

Es war ein Aufruf, mal genau hinzusehen, zu hinterfragen und nachzudenken, was viele auch genutzt haben. Mir hat in Wien in der Straßenbahn mal eine Rentnerin vorgerechnet, dass sie von einer Geldzuwendung leben muss, die einem heutigen ALG2-Betrag entspricht, allerdings ohne die üppigen weiteren Förderungen, wie Mietzahlungen und Möbel und Fernseher und so weiter. Sie meinte mit melancholischer Gelassenheit, das schon irgendwie hinzubekommen. Aber schön war das nicht.

Wir konzentrieren unseren Blick oft nach außen und verlieren das Innere aus der Sicht.
Ist es, weil wir nicht wissen, wer wir sind? Oder nicht wissen wollen? Warum missachten wir unsere Wurzeln, unsere Geschichte, unseren „Stamm“?

Gestern war wieder einer von diesen unerträglichen Fernsehbeiträgen über Schamanen in Deutschland, in denen nichts erklärt, aber viel fremd anmutender Ritus gezeigt wird. Keine Recherche, keine Hintergrundinformation, keine Prognose, keine Vergleiche, einfach nur das übliche Bild vom behaarten Loser, der jetzt auf Trommelseminar macht und anderen Opfern das Geld aus der Tasche zieht. Das war fast zu peinlich, um hinzuschauen. Erst als die protestantische Lehrerin, zu denen der selbsternannte Schamane seine Kinder in die Bibelstunde schickt, sagt, dass sie das für nicht vereinbar hält mit dem Schamanismus und einer Jesus-Affinität, da konnten wir mal zustimmen.

Davor mussten wir mit ansehen, wie ein zuvor arbeitsloser Maurer, an einer viel befahrenen Straße in einem total heruntergekommenen, ehemaligen Bauernhof nach indianischem Ritus Schwitzhütten-Rituale anbietet und etwas erzählt von Geld als energiewertem Ausgleich. Es war wahrscheinlich gut gemeint von den Organisatoren, aber so zusammengefasst klingt das nicht gut. Das Fernsehen präsentiert das leider genauso. Und das wirft ein Licht auf uns alle. Weil jeder, der das gesehen hat, sich plötzlich als Experte auf dem Gebiet Schwitzhütten-Schamanismus-in-Deutschland sieht, weil er das ja „aus dem Fernsehen kennt“.

Ich fände es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es nicht nur bei den Indianern Schamanen gab. Auch bei uns und vor allem im geschichtlich näheren Sibirien war Schamanismus Gang und Gäbe. Bloß weil das irgendwann, aus uns bekannten Gründen, nur noch Hexerei genannt wurde, so gab es doch auch in unseren Gefilden Krafttiersuche und Schwitzhütten und viele, viele vergleichbare Rituale, die heute vor allem die Asatruar lebendig halten.

So schlecht ich den Film auch fand, der Seminarleiter hat es auf jeden Fall akzeptabel gemacht. Ein gutes und notwendiges Statement am Schluss, dass er die Leute nicht zu Indianern machen möchte war zwar auch vorhanden, ich aber hätte mir gewünscht, dass er auf unsere eigene reichhaltige Tradition im Umgang mit Geistern und Träumen hinweist. Kann es sein, dass er das gar nicht wusste? Haben die Indianer eine so viel bessere PR als wir selber? Ständig reist irgendwer rüber zu den „echten“ Schamanen, die in Turnschuhen und mit Baseballcap ihre Seminare abhalten und genauso ständig kommt dann ein europider Neuschamane wieder her, erleuchtet und geläutert und hält flammende Ansprachen über die reichhaltige Kultur der nativen Amerikaner.

Die haben eben die bessere Presse, so scheint es. Es gibt ja auch keinen Film „Der mit dem schwarzweißen Fleckvieh tanzt“. Zwischen all diesen organisierten Vorträgen, Erlebnisseminaren und tendenziösen Fernsehbeiträgen über die sterbende indianische Spiritualität, sehe ich vor meinem Auge schon unser eigenes, unbeachtetes kleines Volk mit Plakaten skandieren: „Wir selber in Not!“

[das würden wir nie tun]
[Kein Wunder, dass ihr ständig übersehen werdet.]
[ist nicht schlimm]
[Dann stört es euch überhaupt nicht, wenn ihr in Vergessenheit geratet?]
[jep]
[Hmmm.]