So gut wie jeden Tag stehe ich zufrieden auf und danke allen Göttern[1] für die Gnade, eine gesunde Familie, ein stabiles Dach über dem Kopf und genug zu essen zu haben, in Sicherheit zu leben und auch sonst auf kaum einen Wohlstand verzichten zu müssen.
In ihrer unergründlichen Weisheit haben sich dieselben Götter dann wohl gedacht, dass Glück dort am besten aufgehoben ist, wo es ohnehin schon vorhanden ist und deshalb bekommen wir demnächst noch ein weiteres, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wieder großartiges, neues Kind.

Und da geht es auch schon los mit der Interreligiösität: In welches Krankenhaus geht man denn so? Wir waren bisher bei jedem Kind in einer anderen Stadt und aus Gründen der örtlichen Nähe immer im städtischen Klinikum, aber diesmal stehen drei zur Auswahl. Und die beiden eindeutig besseren sind nun mal christliche Häuser. Wir haben uns nach Augenschein ziemlich schnell für das von den Maltesern getragene entschieden. Die waren sauber, ein ganz netter engagierter Arzt, entspannte Atmosphäre und was am allerwichtigsten für meine Frau zu sein schien: es gab einen schönen Frühstücksraum.

Bei der öffentlichen Führung durch die Kreißsääle sind mir zwei Ereignisse in Erinnerung geblieben, die ich erzählen muss. So eine Führung durch die Gebährstation gleicht ein wenig einer Kaffeefahrt, nur dass alle Männer verschüchtert hinter ihren gewölbten Frauen stehen und sich durch die Flure hetzen lassen. Immer wieder trifft man ein verirrtes Paar, das die Gruppe sucht, weil es nicht schnell genug war und wo ich, als gestandener Profi, der sich das ganze nur von hinten ansieht, kurz in Richtung des Lärms deutet, wohin die gleich schnaubend verschwinden.
Dann versuchen sich immer alle gleichzeitig in einen Kreißsaal zu quetschen aus Angst, irgendein relevantes Detail für den anstehenden großen Tag zu verpassen und hängen dem Oberarzt oder der Hebamme an den Lippen, der gerade die Vorteile der einzelnen Möbelstücke schildert. Meine Frau und ich wissen schon, dass man sich 1. den Kreißsaal eh nicht aussuchen kann, sondern den nimmt, der zugeteilt wird und 2. dass man während der Wehen stundenlang Zeit hat, um sich mit allen Utensilien so lange zu beschäftigen, bis man alles darüber weiß, inklusive Herkunftsland und Entstehungsgeschichte.

Vor unserer ersten Geburt waren wir natürlich viel nervöser und ich habe meine Frau belächelt, wie sie wirklich jedes literarische Werk zum Thema Geburt der letzten Jahrzehnte studierte und mir geduldig und tröpfchenweise das Wissen versuchte zu vermitteln, das man braucht, um die ersten Jahre durchzustehen. Das andere Extrem war aber die Trulla, die ich bei einer dieser offenen Tage im Krankenhaus leider nicht überhören konnte. Die hatte ihren hohläugigen Mann fest in ihrem Schatten verankert, während sie die Chefhebamme auf eine Privataudienz zur Seite nahm, um folgendes zu sagen:

"Sie, ich will mich da nicht groß einlesen müssen, sagen sie mir mal in kurzen Sätzen, was ich alles beachten muss."

Die Hebamme war ohnehin im Stress und vielleicht bemerkte nur ich ihre angstgeweiteten Augen und den verärgerten Tonfall, doch trotzdem nahm sie sich Zeit, um darauf einzugehen.

Hebamme: "Was genau meinen sie? Die Geburt?"
Trulla: "Nein, alles von Anfang an. Wann kommen die Wehen, wieviele Schmerzen werde ich haben, was für Medikamente darf ich nehmen, etc.?"

Und anstatt dass die einen Hinweis auf Literatur oder Termin für eine Sprechstunde aufgedrückt bekommt, erzählt die Hebamme etwa 20 Minuten wirklich alles, schnell, meistens sogar mehrfach, weil diese ignorante Schnepfe nicht einmal die grundlegenden Wörter wie Wehenschreiber oder PDA kennt. Und dann ist die sich sogar nicht zu blöd, in verschwörerischem Tonfall die folgende Frage zu stellen: "Und wie ist das dann eigentlich mit meiner Sexualität, nach der Schwangerschaft? Da reden ja alle nicht gerne drüber..." Die Hebamme sieht auf ihre Uhr und sagt dann: "Nein, das ist kein Problem. Wirklich. Ich muss dann ..." Woraufhin die Suchende noch näher an sie heranrückt und wiederholt: "Nein, ich meine, wird meine Sexualität genauso sein wie vor der Schwangerschaft?"

Ich sehe dabei den immer bleicher werdenden Mann hinter ihr und seinen gelangweilten Gesichtsausdruck, errate dass er innerlich antwortet: "Hoffentlich nicht ..." und übernehme das Gespräch:

Ich: "Da kenne ich mich aus, was wollen sie wissen?"
Trulla: "SIE habe ich gar nicht gefragt!"
Ich: "Aber wo sie doch bedauerten, dass niemand gerne darüber spricht, ich kenne mich da echt aus und werde mit Freude jede Frage beantworten."

Mit einem verächtlichen Grunzen läßt sie und ihr Anhängsel mich alleine stehen und ich lächle der Chefhebamme zu, die sich mit einem Blick bei mir bedankt, um arbeiten zu gehen.

Als so gut wie alle Leute endlich verschwunden sind, schlendere ich mit meiner Frau an der Hand von einem Kreißsaal zum nächsten und wir bemerken leider etwas, das wir dann doch thematisieren müssen: Überall hängt ein Kreuz mit dem Kadaver von Jesus dran. Wir finden das bei allem Verständnis für religiöse Toleranz echt widerlich, einen geschundenen, leidenden, von Schmerzen geplagten Menschen in seiner schlimmsten Stunde auch noch überall darzustellen. Michael Mittermaier hat mal gesagt, das macht man als Warnung an die Kinder nach dem Motto: Wenn Du nicht spurst endest Du wie der. Aber das weiss ich nicht genau, trotz katholischer Ausbildung. Während der Geburt unseres Kindes möchten wir so etwas aber sicher nicht in Sichtweite haben. Ich gucke ja auch keine Horrorfilme während der Zeugung, um mich anzutörnen.

Wir fragen also nach und mussten erfahren, dass es leider nicht möglich ist, das Kreuz zu entfernen, das gehöre in ein christliches Krankenhaus.

Jetzt ist guter Rat teuer. Was können wir tun? Der Möglichkeiten gibt es ein paar:

  1. Doch ins städtische Klinikum fahren. (Geht nicht, weil da vor allem der Frühstücksraum so ungemütlich ist.)
  2. Heimlich abhängen. (Ich will aber keinen erzürnten Arzt an meine Frau ranlassen, dessen religiöse Feelings wir zutiefst verletzt haben. Vielleicht brauchen die das Kreuz ja auch als Orientierung wo Jerusalem ist, oder was weiß ich...)
  3. Ein anderes Kreuz aufhängen, eines ohne Leiche. (Besser, aber ob die das nicht auch provoziert, weil sie denken, dass wir ihr spezielles Christentum in Frage stellen?)
  4. Unser eigenes Brigids Kreuz aufhängen. (Wenn die nett sind, mögen die das vielleicht sogar.)

Andererseits wissen wir aber auch, dass es uns im Moment der Geburt dann doch egal sein wird, weil die Prioritäten sich da ganz anders gestalten, als im Alltag. Eigentlich ist es das nicht wert, darüber nachzudenken, oder zu schreiben, denn das wichtigste ist, dass alles gut gehen wird.

Bitte liebe Göttin, schenke uns noch einmal Deinen Segen und führe unser Kind heil in diese wunderbare Welt.

 

[1] Ich bin da nicht so ... Da ich bisher noch kein Organigramm mit den einzelnen Zuständigkeiten habe und nichts von Menschen halte, die glauben, sie kennen die Wege aller Wesenheiten, muss es ein Rundumschlag auch tun. Wenn ich von "der Göttin" spreche meine ich auch eigentlich: Alles und der ganze Rest.